Endlich ist das Ding gepackt! Nach 35 Jahren nochmal ein Solo mit Rucksack
Den Bericht gibt's jetzt "an einem Stück" auch unter: belgofritz.wordpress.com
Und morgen geht's dann los. Zufuß nach Kreta (na ja, nicht ganz), wie ich mir schon lange vorgenommen hatte. Diese Nacht 2.30 geht die Haustür in Aachen hinter mir zu, 8 Min. zum Bahnhof (mit leichtem Gepäck), zum Flughafen und 7.50 Uhr mit Eurowings nach Heraklion. Dann mal schauen, wo es mich hinverschlägt. One Way gebucht - kein richtiges Programm.
Wenn ich die Zeit und Lust dazu habe, werde ich hier meinen Reisebericht schreiben (sofern mein zittriges Tablet mir nicht den Nerv raubt). Möglicherweise lasse ich es auch sein, weil das tägliche, stundenlange Gucken auf irgendeinen Bildschirm, sei es Notebook, Smartphone, TV oder sonst was, eigentlich mit ein Grund für meine lang ersehnte "Auszeit" ist. Am liebsten guck ich ja einfach nur rum und genieße das Realitäts-Kino.
Aufenthalt auf Kreta wird wahrscheinlich bis ca. Ende Oktober sein. Vielleicht gibt es ja ein paar Interessierte, die Ähnliches vorhaben und neugierig sind, wie ein End-Fuffziger nochmal versucht, Trecking zu machen und ein wenig Freiheit zu schnuppern. Meinen High Peak Rucksack Zenit 55+10 (ca. 70 € ) habe ich mit seinen unzähligen Schnallen und Fächern jedenfalls schonmal gebändigt. Mal sehen, wie er sich bewährt, und ob ich damit klarkomme. Den Treck-Test durch die Wohnung hat er jedenfalls schonmal bestanden! Zusätzlich noch ein kleines Daypack gepackt, was mit in den Flieger kommt.
Ta leme
Belgofritz
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2.Tag in Ligaría Fortsetzung
Auf meinem Zimmer krame ich erstmal Badesachen aus meinem Rucksack und versuche ihn für die knapp 3 Tage, die ich hier bin, möglichst unausgepackt zu lassen. Wiedereinpacken gehört nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftigungen.
Im oberen „Deckel-Fach“ des „Zenit 55+10“ hatte ich nur meinen eigens für diese Reise gekauften, kleinen „Kulturbeutel“ von Jack Wolfskin zum Zusammenrollen verstaut, um gut ranzukommen. Aufgeklappt kann man den Beutel dann im Bad aufhängen und man kommt bequem an alles ran. Geht alles rein, was Mann braucht, und ist sehr praktisch. So um die 12 €. Das „Kopfteil“ des Rucksacks bildet übrigens die Reserve von 10 l Packvolumen, deshalb 55+10, so kann man den Rucksack entweder mit 55 l kompakt packen oder die größere Variante mit 65 l.
Vorteil bei dem Zenit ist, dass er auch von der Vorderseite aus zu öffnen ist, und man ihn quasi wie eine Reisetasche waagerecht hinstellen kann, um an seine Klamotten ranzukommen. Man muss sich also nicht von oben durch die Tiefe graben (gibt’s natürlich auch von anderen Herstellern). Ein großes Badetuch hatte ich breit gefaltet als Boden und zusätzliches Rückenpolster zu unterst eingepackt. Das muss ich jetzt natürlich rauskramen, ohne Chaos zu produzieren.
Mit meinem Daypack „Vector 25“ von Lowe Alpine (ca. 25-30 €) stehe ich noch etwas auf Kriegsfuß, weil die einzelnen Fächer komplett anders angeordnet sind, als bei meinem früheren Billig-Pack, und ich ständig nach meinen 7 Sachen suche ( Tabak, Feuer, Handy, Kopfhörer, Kleingeld,Taschenlampe etc... Reißverschluss auf - Reißverschluss zu.... Es wird sich rausstellen, dass ich mich bis zum Reiseende nicht an die elende Kramerei gewöhnen werde.
Um mein Geld zu verstauen, was auf jeder Reise immer wieder die Gretchen-Frage ist, hatte ich mir einen flachen „Moneybelt“ von Tatonka gekauft ( ca.8 €), den man unsichtbar unter der Kleidung trägt. Ich ziehe das Ding aber nur auf längeren Reiseabschnitten an, ansonsten kommt es in das Daypack. Ich hatte mir auch ein Trekking-Portemonnai aus Kunststoff zugelegt, was mir aber aufgrund des abartig lauten Klettverschlusses beim Öffnen u. Bezahlen und auch wegen der Scheiß-Optik mit albernem Jack Wofskin Logo schlichtweg zu peinlich wurde. Geht nix über ein gutes Leder-Portemonnai, was ich mir später auch in Mires kaufe. Mein altes hatte nach 15 Jahren ausgedient.
Genug der Details: Die Reisebepackung wird gegen Strandbepackung ausgetauscht und ich gehe gemütlich runter zum Strand, wo ich mir gleich am Anfang der Bucht eine Strandliege mit Sonnenschirm genehmige, Belohnung für meinen geschundenen Rücken. Das Wetter ist spitze, wolkenloser Himmel und nicht zu heiß, schätze so 28 °. Es ist noch vor 12.00 Uhr und noch relativ wenig Betrieb am Strand. Ich mache es mir erst mal so bequem wie möglich, schaue aufs Meer und realisiere: Gestern morgen noch Bahnhöfe wie Niederkrüchten oder Brüggen, und jetzt 3000 km entfernt am Strand liegen mit Blick über's Meer in Richtung ferner Heimat. Nicht schlecht!
Wie schon gesagt, macht der Ort Ligaría nicht viel her, die Felsen-Bucht mit dem Strand-/Kiesstrand ist landschaftlich aber durchaus reizvoll. Auch das Meer ist klar und sauber (zumindest an den beiden Tagen, die ich hier verbringe), und es läßt sich gut baden und schwimmen, was ich auch ausgiebig tue.
Der Strand füllt sich langsam. In der Mitte des Strandes unterhalb der schmalen Promenade mit den Tavernen sind schon bald keine Liegen und Schirme mehr frei. Später wird mir klar, dass an den Ortsstränden die Konzentration der badenden Gäste dort am größten ist, wo man im W-LAN-Zugangsbereich der angrenzenden Tavernen liegt, und wo man sich beim ersten Besuch direkt schonmal das Passwort hat geben lassen.
In meiner Ecke (ohne W-LAN Zugang) bleibt es ruhig, ein älteres, ruhiges Paar, wahrscheinlich aus Russland und ein paar Französinnen (mit Anhang) mieten sich in der Umgebung Strandsets. Das Publikum insgesamt sind auffällig wenig junge Leute, eher Familien mit Kindern und ältere Herrschaften, überwiegend Griechen, wenig Deutsche, einige Russen, Holländer, Franzosen. Die wenigen Tavernen und Snack-Bars mit Garten an der Promenade sind tagsüber leidlich gut gefüllt, aber abends, zumindest an den beiden Wochentagen, die ich hier bin: Absolut Tote Hose! Letzteres betrifft mit Verlaub im wahren Sinne des Wortes auch das Nicht-Vorhandensein von Strandschönheiten weiblichen und, der Ordnung halber, auch männlichen Geschlechts.
Auffällig ist auch ein offensichtlicher Trend zu englischem Rasen im Vorgarten. Einige Neubauten kommen ungewöhnlich gepflegt daher, und die grünen, klinisch toten Rasenflächen passen so garnicht ins Bild von der Insel Kreta und können ja auch nur mit Unmengen wertvollen Wassers künstlich am Leben gehalten werden. Ich halte es für irrsinnig.
Um die Langweiligkeit des Ortes abschließend noch etwas näher zu beschreiben: Eine halbwegs groovige Music-Bar o.ä. sucht man hier vergeblich. Gibt es hier nicht. Ligaría scheint mir alles in allem der ruhige Vorposten im Osten von Agia Pelagía zu sein, für langjährige Stammgäste, der auch stark von griechischen Tagesausflüglern aus dem Hinterland und Heraklion frequentiert wird.
Nach 1-2 Stunden kommt, wie erwartet, ein freundlicher junger Grieche vorbei, um die Miete für das Strandset zu kassieren: 2 € der Schirm u. 2 € die Liege. Zahle ich doch gerne.
So verbringe ich bis zum späten Nachmittag einen entspannenden Strandtag, ohne Lesen, Tablet, Handy oder sonstiges, nur schwimmen, dösen, denken, gucken. Da ich mir nicht schon am Anfang einen Sonnenbrand einhandeln will, döse ich fast nur im Schatten.
Am späteren Nachmittag gehe ich noch kurz zum Mini-Market um Wasser und ein Fläschchen Retsina für eine Zwischenmalzeit zu kaufen. Diesmal ist eine junge, freundliche Griechin an der Kasse, und der Griechisch-Small-Talk klappt schon besser. Auf dem Rückweg zu meinem Zimmer begegne ich meinem alten Freund von „Ligaría Studios“, der auf seinem Grundstück, das vom ca. 50 m zurückliegenden Apartmenthaus im Ort bis zur Promenade reicht, für Ordnung sorgt. Er erkennt mich sofort, begrüßt mich herzlich und fragt mich etwas stibitzig, wo ich denn nun untergekommen sei. "Bei Maria" sage ich, woraufhin er sich die Frage nicht verkneifen kann, was ich denn da bezahlen würde. Das Ausfragen von Pensionsgästen durch konkurrierende Vermieter mag legitim sein, und es ist mir auch schon früher öfter begegnet. Es gefällt mir aber irgendwie nicht. Deshalb lasse ich ihn etwas suffisant im Dunkeln und sage, ich wüßte es nicht genau, vielleicht irgendwas zwischen 20 u. 30 €. Er scheint etwas irritiert, will mich auf 30 € festnageln, was ihm aber nicht gelingt, und wechselt dann geschickt das Thema, indem er mich fragt, ob ich aus Deutschland sei. Ich bejahe und er erzählt mir, dass er vor langer Zeit mal in Deutschland gearbeitet hätte, aber kein Deutsch mehr sprechen könne. Aber wieso ich denn so gut Griechisch sprechen könnte. Ich sage nur: Móno ligo, Efkaristó! (nur ein wenig, Danke!) und dass ich es in Deutschland lernen würde. Das scheint ihm zu gefallen und wir verabschieden uns. Sto kaló!
Kleiner Exkurs:
Ich weiß nicht, wieviele Griechen ich schon getroffen habe, die irgendwann mal für längere Zeit in Deutschland gearbeitet haben, aber es waren schon verdammt viele. Manche haben für immer Fuss gefasst, wenn sie gutes Geld verdienen konnten und mit der Mentalität, dem Wetter und dem schnelleren Lebensrythmus klarkamen, und andere sind für immer zurückgekehrt, weil sie nicht klarkamen. Eine Frage der individuellen Lebenssituation und des Typs.
In Aachen haben wir eine relativ große griechische Gemeinde. Außer den Gastarbeitern sind in den 70ern auch viele Studenten nach Aachen gekommen, um der Militärdiktatur den Rücken zu kehren (der Legende nach natürlich auch, um sie aus dem Exil heraus zu bekämpfen!) und betätigten sich neben dem Studium in der Gastronomie. Nach und nach entstanden etliche griechische Restaurants und Kneipen, deren Inhaber das Geldverdienen dem Studieren vorgezogen hatten. Jedenfalls sorgte das damals für eine echte Bereicherung der Gastro-Szene, weil es genau diese Kneipen waren, wo fast jeder gerne hinging, Studenten und Nicht-Studenten, Jung und Alt, arm und reich, ganz links und weniger links, gesund und krank.... Die Kneipen waren gemütlich, Essen und Trinken reichlich und gut und vor allem günstig, die Atmosphäre symphatisch und ungezwungen, und rumtobende Kinder herzlich Willkommen.
Mittlerweile wächst die 3. Generation heran. Die griechischen Kneipen sind deutlich weniger geworden und größtenteils „turkisiert“. Die Griechen arbeiten heute in allen Bereichen und fahren zum Teil nur noch zum Urlaubmachen „nach Hause“. Viele Ältere sind auch in der glücklichen Situation, einen Zweitwohnsitz in ihrer Heimat haben, oft elterliches Eigentum, und können je nach Gesundheitszustand wählen, wo sie ihren Lebensabend verbringen. Die bessere Gesundheitsversorgung in Deutschland ist für viele griechische Rentner der Grund, lieber in Deutschland zu bleiben. Und die Kinder haben oft keinen richtigen Bezug mehr zur Verwandschaft und zum Leben in Griechenland und haben ihren Lebensmittelpunkt jetzt in Deutschland.
Den Rest dieses Wellness-Tages kann ich kurz zusammenfassen: Zurück auf meinem Zimmer erstmal einen Kaffee. Dann mache ich es mir auf dem Balkon mit Brot, Käse, Melone und Retsina und Zigaretten gemütlich und halte mich noch eine ganze Weile dort auf. Im Vorgarten (der ebenfalls eine große und untypisch grüne Rasenspielfläche ist, allerdings nicht englisch – eher medium) spielen die Kinder, bzw. sie ärgern die Hunde. Hin und wieder bleiben sie vor mir stehen (Kinder wie Hunde), lachen mich freundlich und neugierig an und sagen irgendwas auf Griechisch, was ich nicht verstehe. Ich lache fröhlich mit.
Bei Dunkelheit gehe ich nochmal durch den Ort, versuche irgendwas Interessantes zu entdecken und lande am Ende wieder bei Anatoli. Hier ist wieder kaum was los. Ich esse noch was Kleines (glaube Saganáki) und unterhalte mich zwischendurch sehr gut mit der jungen Kellnerin, die aus der Tavernen-Familie zu sein scheint. Ich trinke mich mit Bier und Raki bettschwer und gehe schlafen.
Auf der Veranda im Garten von Marias Apartments sitzt abends die Familie zum Essen mit Außen-TV zusammen. Ein alter Patriarch mit Schnäuzer und weißen Haaren sitzt den lieben langen Tag fast immer da. Ich suche keinen Kontakt, grüße aber beim Vorbeigehen immer anstandsgemäß, so wie jetzt: Kaliníchta!
Morgen erst mal wieder Strand und dann geht’s nachmittags zufuß nach Agia Pelagía.
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Zwischendurch ein kleines Bilderrätsel:
Wer kann mir sagen, wo dieser Warnhinweis hängt?
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In das berüchtigte, angeblich von Mafia und Drogenbossen regierte, Zonianá wollte ich erst am nächsten Tag mal hinspazieren. Es liegt ca. 5 km entfernt und ich habe keine Lust dort heute noch hinzugehen oder per Anhalter hinzufahren. Außerdem will ich nicht glauben, dass es keine Übernachtungsmöglichkeit mehr gibt, denn eine, wenn auch dürftige, hatte ich ja schon angeboten bekommen. Notfalls würde ich auch darauf zurückgreifen, da es ja letztlich nur drum geht, ein Bett und eine Dusche zu haben.
Ich verzichte aber darauf, in den Pensionen nebenan auch nochmal anzufragen und gehe quer durch eine Verbindungsgasse ein paar Treppenstufen hoch wieder Richtung Hauptstraße. Ich komme genau gegenüber von „Arcadia Rooms“ aus und stehe auf dem schönen Meidani-Platz mit einer kleinen, uralten Kapelle (Agios Giorgos ) und einigen Kafeníons, wo man schön unter schattenspendenen Platanen sitzen kann und einige Männer Kaffee trinken und Tavli spielen. An der Straße geht mein Blick nach rechts und ich sehe, dass die gesamte Ortsdurchfahrt für den Autoverkehr gesperrt ist und, so weit das Auge reicht, 4 Reihen Tische und Stühle aufgebaut sind, alle mit weißen Tischdecken und bunten Blumen gedeckt. Es sind bestimmt 200 Meter und ich kann das Ende der Tischreihen mit bloßem Auge nicht erkennen.
Einige Meter oberhalb von Arcadia hatte ich noch ein neueres Gästehaus gesehen, finde aber auch da niemanden, den ich ansprechen kann. Vor der Taverne Aetos nebenan macht der bärtige und schwarz gekleidete Wirt gerade den Holzkohle-Grill sauber. Auf meine Frage nach der Zimmervermietung geht er sofort zu einem kleinen, alten Häuschen gegenüber und klopft eine ältere Dame raus, die die Vermietung macht. Leider ist sie auch ausgebucht, aber am nächsten Tag würde ein Zimmer frei und ich könnte dann für 2 Nächte unterkommen (30 €/Nacht). Ich könnte ja eine Nacht im Arcadia bleiben und dann 2 Nächte bei Ihr. Ich sage ihr, dass ich eventuell auf das Angebot zurückkäme.
O.K., ich gehe wieder zum Arcadia, wo sich auf dem Vorhof unter dem Maulbeerbaum die Hausherrin mit Enkelin und Freundin aufhalten und auf einem Stuhl ein uraltes Mütterchen sitzt, wahrscheinlich die Urgroßmutter. Natürlich schwarz gekleidet und mit schwarzem Kopftuch, das Gesicht winzig klein und zerfurcht, starrt sie aus ihren schwarzen Äuglein vor sich hin und macht den Mund wie ein Fisch permanent auf und zu. Auf quer über den Hof gespannten Wäscheleinen sind einige Saríkis aufgereit, die traditionelle, netzartige Kopfbedeckung der kretischen Männer, die mit den kleinen, in die Stirn herunterhängenden Bommeln die Tränen wegen der jahrhundertelangen Herrschaft und Unterdrückung durch die Türken symbolisieren sollen. Alles Handarbeit und in unterschiedlichen Farben, bisher kannte ich sie eigentlich nur in schwarz.
Ich starte nochmal einen Anlauf und sage, dass mich nur stören würde, dass das Zimmer kein Fenster hätte, und ob sie nicht vielleicht noch eine andere Möglichkeit hätte. Und sie hat! Eláte! Ich folge ihr wieder die Treppe hoch zum Obergeschoss und noch einen kurzen Treppenabsatz höher zeigt sie mir ein großes Zimmer mit 4 Einzelbetten, kleinem Waschbecken, Tisch und Stuhl und kleinem Fenster, von dem aus man zwar kaum Blick hat, weil es fast unter der Zimmerdecke liegt, aber immerhin. Durch eine verglaste Tür im Zimmer geht es eigentlich zu einem kleinen Flur mit Duschbad, welches die Frau aber 2 jungen Damen aus Heraklion im Zimmer nebenan zur alleinigen Nutzung versprochen habe, die eigens zur Hochzeit angereist seien. Ich müßte also unten das draußen gelegene Bad nutzen. Kavéna próvlima! (Kein Problem!). Ich hätte allerdings auch kein Problem damit gehabt, mir das Bad mit den beiden Mädels zu teilen.
Mein Zimmer ist also gebongt und ich gehe nochmal mit runter, um mein Gepäck zu holen. Die Einladung zu einem Kaffee nehme ich gerne an und setze mich auf die Holzbank unterm Baum. Das aufgeweckte Mädchen zappelt mit Ihrer Freundin kichernd um mich rum und versucht ein paar Wörter auf Deutsch zu sprechen, die sie schonmal irgendwo aufgeschnappt hat. Dann preist sie mir ganz im Stil einer angehenden Verkäuferin die Saríkis für 10 € das Stück an. Ich gebe ihr zu verstehen, dass ich später bestimmt eins kaufen werde und gehe mit meinem Gepäck auf mein Zimmer, um mich etwas frisch zu machen und dann endlich was essen zu gehen. Als ich wieder runter komme, hocken gleich 3 schwarz gekleidete, total zieliche und uralt aussehende Greisinnen zusammen mit meiner Vermieterin auf dem Hof. Unter ihren Kopftüchern schauen nur faustgroße Gesichter hervor, mit tiefdunklen, kleinen Pünktchen-Augen. Urgroßmutter macht weiterhin nur den Mund auf und zu. Ein unglaublich eindrucksvolles Bild, wie ich es live noch nie gesehen habe. Leider denke ich in diesem Moment nicht daran zu fragen, ob ich ein Foto machen dürfe. Schade!
Níki, meiner Vermieterin, drücke ich die 75 € für das Zimmer in die Hand und gehe zum Essen in die Taverne Aetos. Hier bin ich um diese Zeit der einzige Gast. Ich setze mich vorne in die Nähe des Eingangs und bestelle bei dem urigen Wirt, dessen Bekanntschaft ich ja bereits gemacht habe, Macarónia Anthótiro (Spaghetti mit geriebenem Ziegenkäse), die im Fohrer als hiesige Spezialität beschrieben werden. Dazu einen Retsina.
Manólis, der Wirt, ist ziemlich damit beschäftigt, klar Schiff zu machen und schließt schonmal einen Flügel der großen Eingangstür. Heute geht hier im Lokal nichts mehr: Gámos ine!
Bevor ich bezahle, gehe ich nochmal kurz bis zum hinteren Ende der großen, rustikal eingerichteten Taverne und komme auf eine riesige Terrasse mit fantastischem Weitblick über Anógia hinweg auf das Psilorítis-Gebirge. Als ich mich verabschiede, rät mir der Wirt nochmal eindringlich dazu, heute abend auf die Hochzeitsfeier zu kommen, denn es sei Sitte, dass bei solch einem Fest jeder eingeladen sei, der sich zu diesem Zeitpunkt im Dorf aufhält. Egal, ob Tourist oder sonst wer. Und ich bräuchte keine Hemmungen zu haben, mich an die festlich gedeckten Tische zu setzen und könnte soviel essen und trinken wie ich wollte.
Noch weiß ich nicht, wie das Ganze wirklich aussehen wird, denn von griechischen bzw. kretischen Hochzeiten habe ich zwar schon gehört, aber noch an keiner teilgenommen. So lasse ich es mal auf mich zukommen.
Ich gehe zurück auf mein Zimmer, um was zu kramen und zu duschen und mache mich dann noch zu einem Spaziergang auf. Durch die noch unbesetzten Tischreihen hindurch gehe ich am Ende des Ortes eine steile Gasse hinunter und komme auf eine schmale Parallelstraße, die ins Unterdorf Perachóri führt. Im Ortskern komme ich zuerst an einigen kleinen Souvenir-und Schmuckläden vorbei bevor ich die schöne Plátia mit ihren Kafenions, Tavernen und kleinen Läden erreiche, in denen Frauen die für Anógia typischen Schafwollteppiche, Stickereien, Sarikis etc. zum Kauf anbieten. Alles selbstverständlich Handarbeit, wobei man auch als Laie erkennen kann, dass manches mittlerweile auch Massenware aus Fernost ist. Der Ort ist wirklich ein urkretisches Idyll, welches für den Tourismus, insbesondere auch Tagesausflügler, entsprechend aufgehübscht wurde.
Ich gehe quer über den Platz am Geburtshaus des berühmten Lyra-Spielers Níkos Xiloúris vorbei fast bis zum Ortsausgang Richtung Áxos, kehre wieder um und setze mich auf die Terrasse der ersten Taverne rechts auf der Plátia. Noch bin ich hier der erste Gast, bestelle mir ein Mythos 0,5 l und esse nichts, obwohl mir angesichts der großen Rippenstücke von Lamm und Ziege, die bereits auf dem Flammengrill brutzeln, das Wasser im Mund zusammenläuft. Aber ich bin ja schließlich noch zum Festtagsschmaus auf die Hochzeit eingeladen und will mich jetzt nicht schon satt essen.
Ich verbringe eine ganze Weile hier, habe auch WLan-Empfang, um über Whatsapp ein Lebenszeichen von mir in die Heimat zu schicken, und mache mich in der Dunkelheit wieder gen Oberdorf auf. Als ich zahlen will, winkt der Wirt ab: Das Bier geht auf´s Haus!
Efcharistó pára polí!
Ich hatte zwischendurch von ihm erfahren, dass er jeden Abend das Fleisch vom Flammengrill anbieten würde und er hatte bestimmt gerochen, dass ich nicht nur auf der Durchreise war. Deshalb durfte er auch damit rechnen, dass ich wiederkommen würde.
Nichts gegen kretische Gastfreundschaft, aber es ist nunmal so, dass gerade in den Touristenorten, vor allem an der Küste, wo die vielen Tavernen um die Gäste buhlen, ein unglaubliches Gespür dafür besteht, ob neue Kunden nur Eintagsfliegen sind oder sie sich für 2-3 Wochen einnisten. Jedenfalls werden sie beim ersten Besuch extrem verwöhnt und es wird ihnen das ein oder andere Getränk ausgegeben. Man gibt den Kunden das Gefühl, dass sie ungeheuer symphatisch und was Besonderes sind. Der Grund ist aber eher der, dass man versucht, neue Stammgäste für den jeweiligen Aufenthaltszeitraum zu zu gewinnen.
Aber wie sagt der Franzose: Honi soit, qui mal y pense! Ein Tor, der Böses dabei denkt! Denn Klappern gehört nunmal zum Handwerk, und besser freundlich und zuvorkommend, als das Gegenteil.
Ich gehe ein schmales Sträßchen mit langer Steigung parallel zum Oberdorf hoch und biege dann links in das Labyrinth von steilen, verwinkelten Gassen hoch zum Ortszentrum ab. Oben in Armi angekommen, stehe ich plötzlich mitten im Gewühl der Hochzeitsfeier. Die Tischreihen sind voll besetzt und durch die Menge von Leuten gibt es kaum ein Durchkommen. Geschätzt sind es weit mehr als 2000 Gäste. Ich stehe zufällig genau auf der Ecke einer Art Schlachterei, aus der Horden von Helfern in weißen Hemden und schwarzen Hosen am laufenden Band riesige Holztabletts, hoch gefüllt mit Fleischbergen, durch die Tischreihen jonglieren. Ich kann in der Ferne nicht erkennen, ob die hunderte Meter lange Fressmeile auch vom Ende her mit Fleisch versorgt wird. Es sieht mir eher so aus, dass die Fleischtransporteure eine Kette bilden, um auch die hintersten Tische bedienen zu können. Alles geht sehr schnell, aber irgendwie geordnet zu, und man scheint Routine darin zu haben, diese logistische Herausforderung zu bewältigen. Leider kriege ich nicht raus, wie diese Unmengen von Schaf-und Ziegenfleisch zubereitet wurden. Ich kann mir nur vorstellen, dass sie tagsüber in riesigen Öfen gebacken und dann nur noch irgendwie warm gehalten wurden. Man darf sich jetzt nicht vorstellen, dass es sich um schön angeordnete Lammkarrées o.ä. handelte, sondern eher um grobschlächtig zerhackte Tierhälften. In dem verglasten Eingangsraum der „Fleischfabrik“ sind die Frauen damit beschäftigt, aus großen Plastik-Bottichen wie am Fließband griechischen Salat und Schafskäse mit der Hand auf Teller zu klatschen, die dann mit Brot zu dem Fleischgelage serviert werden. Darüberhinaus natürlich große Mengen Tsatsiki.
Auf den Tischen sind ca. alle 2 Meter jeweils 1 große Flasche Cola, Wasser und Roséwein angerichtet.
Am nächsten Tag frage ich Niki, meine Vermieterin, wieviele Tiere denn für dieses Gelage hätten dran glauben müssen, und sie schätzt, dass es mindestens 200! gewesen sein müssen.
Anógia und Umgebung ist auf Kreta ein Zentrum der Schaf-und Ziegenzucht, und da kommt es wohl auf 200 Tiere mehr oder weniger nicht an.
Vor einer Apotheke schräg gegenüber ist eine hohe Bühne aufgebaut, auf der eine Gruppe von 7 Musikern für den musikalischen Teil des Abends sorgen. Sie sitzen nebeneinander auf Stühlen und spielen vorwiegend die traditionellen kretischen Mantinades, eine Art Sprechgesang, in dem alltägliche Geschichten erzählt werden. Die Lyra- und Laouto-Spieler wechseln sich in Ihrem Gesang ab, und die Stücke zeichnen sich durch eine immer weiter steigernde Geschwindigkeit aus, die in einem unglaublichen Tremolo gipfelt, welches nie aufzuhören scheint und dann plötzlich und schlagartig verstummt.
Einige Lieder kenne ich von Auftritten eines Laouto( „Lout“ )-Spielers in Lentas namens Antónis Germanákis , dessen kürzlich verstorbener Großvater Michális Daskalákis von der Taverne Méltemi auch ein guter Lyra-Spieler und Sänger war.
Vor der Bühne tanzen die Leute Ihre kretischen Tänze. Viele Männer sind traditionell festlich gekleidet, ganz in schwarz und mit weißen Saríkis um die Schultern. Mir fällt auf, dass ich der einzige Mann bin, der hier in Shorts herumläuft, für die Einheimischen wahrscheinlich ein absolutes „No go“.
Ich bin von den ganzen Eindrücken derart fasziniert, dass ich mich bestimmt eine Stunde lang kaum vom Fleck rühre und noch nicht einmal ans Essen und Trinken denke, denn davon steht Einiges herum und ich bräuchte nur zuzugreifen. Erst nach einer Weile denke ich daran, zumindest ein paar Handyfotos von der Szenerie zu machen, die wegen der Lichtverhältnisse allerdings nicht besonders gut werden.
Natürlich sind das Momente, die man dann doch gerne mit jemandem teilen würde. Aber so teile ich sie eben mit mir selbst und denke, wie gut, dass ich bei meiner Ankunft vor ein paar Tagen in Heraklion den Bus direkt nach Anógia verpasst habe.
Langsam bewege ich mich ein wenig durch die Menge und sehe einen schwarz gekleideten, stattlichen, dicken Popen da stehen, der das Treiben mit zufriedener Miene verfolgt. Er kommt mir sofort aus einer kürzlich gesendeten „Wunderschön“-Folge „Kreta“ aus dem 3. Programm bekannt vor, in der die Moderatorin im benachbarten Zonianá einen Popen zur Waffen-Narretei interviewt. Ich fasse mir ein Herz, ihn darauf anzusprechen, aber er sagt, dass er schonmal von der englischen BBC interviewt worden sei und er es nicht sein könne, es müsse sein Kollege in Zonianá gewesen sein. Er sei der Pope von Anógia. Ich solle mich doch hinsetzen und essen und trinken.
Ich hätte schwören können, dass er es war, den ich im TV gesehen hatte.
Ich folge schließlich der erneuten Aufforderung und gehe wieder zu den mittlerweile etwas gelichteten Tischen hin. Eine nette Frau schüttet mir auf meine Frage hin, ob das farbige Getränk vor ihr Wein sei, ein Glas 0,2 randvoll und prostet mir freundlich zu: Jámmas!
Ich mache mich ein wenig Abseits und etwas unsicher an die noch üppig vorhandenen, appetitlichen Keulen - und Rippenstücke ran. Viel esse ich nicht, weil mir von dem inflationären Fleischangebot der Appetit fast vergangen ist und ich trinke über den ganzen Abend mal gerade dieses eine Glas Wein. Wer mich kennt, weiß, was das heißt.
Langsam holen sich die Leute auch Ihren Nachtisch, Risógalo, ich glaube auch einfach Pilawi o.ä. genannt, einen Milchreis. Nicht mein Ding.
Es ergibt sich nicht, dass ich mit einer Gruppe, größtenteils Familien, ins Gespräch kommen, lege es aber auch nicht drauf an, weil ich mich lieber noch was bewegen möchte. Ich gehe langsam wieder durch die Menge in Richtung meines Domizils. Auf der Straße hinter der Tanzfläche hoch sind noch meterweit Bankreihen aus Holz aufgestellt, die voll mit überwiegend jungen Männern besetzt sind. Ich zwänge mich durch die Gasse in der Mitte und setze mich noch was dazu. Dann beobachte ich, wie das Gelage allmählich in archaische Welten abdriftet. Der Rakí fließt natürlich in Strömen, und die „echten Kerle“, die natürlich ihre eigenen Messer in allen möglichen Formen dabeihaben, holen sich einer nach dem anderen Nachschub in Form von riesigen Rippenschalen Lamm und Ziege, zerteilen diese in professioneller Manier auf Ihren Oberschenkeln und verteilen sie unter ihren Freunden. Der Boden und überhaupt alles ist übersät mit Gerippe, an dem noch soviel Fleisch hängt, dass die ganze Gesellschaft davon nochmal satt werden könnte. Das Ganze gipfelt schließlich darin, dass einige Männer aufstehen und, mit harfenähnlichen Rippenstücken, die sie wie Trophäen in die Luft strecken, triumphierend in Richtung Tanzfläche ziehen.
Bald werde ich bettschwer und denke, dass es besser ist, zu gehen, wenn´s am schönsten ist, und mache mich zu meinem nur wenige Meter entfernten Zimmer auf. Ich glaube, ich habe genug, mehr brauche ich nicht und ich versuche zu schlafen. Gegen 4 Uhr wache ich aus meinem Halbschlaf auf und höre laute Gewehrsalven.
Morgen geht’s zufuß nach Zonianá.
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Ein gutes Frühstück muss jetzt her und ich gehe die Hauptstraße runter durch den Ort. Es ist gegen 10 Uhr und von dem Straßenfest von gestern ist fast nichts mehr zu sehen. Tische und Stühle und auch die Bühne sind größtenteils abgebaut und nur vereinzelt liegen noch einige zusammengekehrte Müllhaufen rum. Einige Leute sind noch mit Aufräumen und Saubermachen beschäftigt, aber das Leben geht weiter wie an einem ganz normalen Sonntagmorgen, als wäre gestern nichts gewesen.
Da hier oben in Armí kein Frühstück angeboten wird, gehe ich wieder ins Unterdorf nach Perachóri und frühstücke in einem kleinen Café unter Bäumen auf dem schönen Platz. Am Nebentisch sitzt ein junges Paar aus Deutschland und empfiehlt mir das Omelett mit Käse, was ich dann auch nehme und ok ist.
Zurück im Oberdorf gelange ich über eine steile Treppe auf einen größeren Platz mit einem Denkmal, das ich mir etwas genauer anschaue. In griechischer und deutscher Schrift ist hier der Wehrmachtsbefehl des deutschen Ober-Kommandeurs H. Müller in Stein gemeißelt, der während der Besatzung Kretas im 2. Weltkrieg wegen eines Partisanenaktes befahl, Anógia dem Erdboden gleich zu machen und alle männlichen Dorfbewohner, die sich zu diesem Zeitpunkt in Anógia und Umgebung aufhielten, zu erschießen. Die Namen der vielen Opfer sind hier ebenfalls verewigt.
Der Gedanke, dass irgendwelche braunen, uniformierten Horden einfach in ferne, friedliche Gegenden einfallen, die überwiegend von Ziegenhirten bewohnt werden und die mit der Weltpolitik nun wirklich nicht viel zu tun haben können, die Häuser zerstören und die Menschen massakrieren, ist ziemlich unerträglich.
Ich bekomme ein mulmiges Gefühl angesichts der Tatsache, dass ich gestern als Deutscher nur 70 Jahre später hier zu einem Dorffest eingeladen bin, unbekümmert mitfeiern darf und keinerlei Ressentiments erfahre. Auch wenn ich für diese Barbarei keine Mitverantwortung trage, schäme ich mich als Deutscher dafür und würde mich am liebsten bei den alten Männern, die am Rand des Platzes auf der Bank sitzen, entschuldigen.
Es war nicht das erste Mal, dass Anógia zerstört wurde (wie auch viele andere kretische Dörfer). Im 19. Jahrhundert waren es die türkischen Besatzer, die das Dorf sogar 2 Mal niederbrannten.
Dass sich aus der jahrhundertelangen, leidvollen Besatzungs-Geschichte Kretas ein starker Freiheits- und Widerstandsdrang entwickelte, ist nur allzu verständlich, und der traditionelle Waffenbesitz ist wohl u.a. auch darin begründet.
Ich kaufe mir noch 2 Flaschen Wasser und gehe zurück zu meinem Zimmer, um mein Daypack zu holen. Dann starte ich meinen Fußweg ins legendäre Zonianá, das Dorf mit eigenen Gesetzen, wo es angeblich mehr Waffen als Einwohner gibt, und die „Drogen-und Waffenbarone“ regieren. Das Hinweisschild am unteren Ortsausgang zeigt 5 km bis Zonianá, was in 1 Stunde zu schaffen sein muss. Ich gehe links die Straße entlang - es begegnen mir nur wenige Autos und sonst keine Menschenseele. Die Gegend ringsum ist leicht bewaldet und es gibt nichts Besonderes zu sehen. Nach gut einer dreiviertel Stunde komme ich an den Abzweig links nach Zonianá, noch 2 km.
Entfernungsangaben auf Wegweisern sind auf Kreta immer skeptisch zu betrachten – es kommt häufiger vor, dass z.B. 5 km angezeigt werden und dann nach ca. 5 km wieder 5 km angezeigt werden(kommt in Deutschland aber auch vor).
Nach einigen Metern geht auf der Straße nach Zonianá rechts ein Weg zu einer Taverne ab. Ich beschließe, dort ein Päuschen einzulegen. Nach ca. 50 Metern an einer langen, neu erstellten Natursteinmauer entlang komme zu der ebenfalls ziemlich neu wirkenden, in gelblichem Putz gehaltenen „Landtaverne“ mit überdachter Außenterrasse. Das gesamte Anwesen scheint neu angelegt zu sein und liegt sehr schön in einem Olivenwäldchen und ich sehe am Ende des staubigen Vorplatzes auf einer Anhöhe eine krippenähnliche Behausung unter Bäumen mit allerlei Getier. Hühner, Gänse, Schafe, Ziegen, Hütehund etc. wohnen hier in einer offensichtlich gut funktionierenden und friedlichen WG.
Ich setze mich auf die Terrasse an einen mit einer gelben Stofftischdecke gedeckten Tisch und rauche erst mal eine. Es ist absolute Totenstille und mein Kommen scheint noch niemand bemerkt zu haben, wenn überhaupt jemand da ist. Nach einigen Minuten stehe ich auf, gehe zu der verschlossenen Holz-Glastür und schaue in den großen, dunklen Gastraum. Ein kleiner Hund hat mich gesehen, kommt ohne einen Mukser zur Tür und läuft wieder in den hinteren Bereich. Komischer Hund. Ich setze mich wieder hin und nach wenigen Minuten kommt eine junge Frau heraus. Fifi hat ihr wohl Bescheid gesagt. Vermutlich habe ich sie aus Ihrem Mittagsschlaf geholt. Sie begrüßt mich aber freundlich und ich bestelle ein Bier, was sie mir auch umgehend zusammen mit dem üblichen Snack Tomaten, Oliven, Schafskäse, Wurst und dem harten, zwiebackähnlichen „Dakos“ serviert. Sie setzt sich zu mir und ist neugierig, was mich um Himmels Willen zu dieser Tageszeit auf Ihre Terrasse verschlägt. Englisch spricht sie nicht, und so unterhalten wir uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Sie erzählt mir, dass ihr Mann auswärts arbeite und jede freie Minute am Haus und den Außenanlagen arbeiten würde. Ihre Eltern seien erst kürzlich beide verstorben, was sie sehr traurig mache und ich erfahre, dass sie zzt. Ärger mit einem Gänsegeier habe, der ihr schon einige Gänse gerissen hätte.
Als ich zahlen möchte, stelle ich fest, dass ich zu wenig Kleingeld in der Tasche habe, um Speis´ und Trank und Trinkgeld zu bezahlen, und 50 Euro will oder kann sie nicht wechseln. Also lass ich die knapp 2 Euro liegen und der Rest geht mal wieder aufs Haus „Tipota!“ (macht nix, es ist Nichts).
Da ich heute außer Tavernenbesuchen zur Gewissensberuhigung auch mal eine politisch korrekte Dosis Kultur mitbekommen möchte, frage ich sie nach der im „Fohrer“ beschriebenen Tropfsteinhöhle, der „Sfendóni-Höhle“, und sie sagt mir, dass ich sie auf dem Weg nach Zonianá rechts oberhalb vom Ort sehen würde und es wäre nicht weit. Sie hätte jetzt auch geöffnet. Efkaristó pára poli! Andío!
Ich war in meinem Leben noch in keiner Tropfsteinhöhle. Bei der einzigen Gelegenheit auf einer Klassenfahrt nach Attendorn hatte ich mich mit einem Kumpel anderen schönen Dingen gewidmet und mich von der Truppe entfernt.
Die Straße nach Zonianá steigt ca 1-2 Kilometer leicht an und ich sehe oben rechts in der Ferne ein freistehendes, offensichtlich neu angelegtes Besucherzentrum am Fuss der Berge. Ich meine mich erinnern zu können, dass auch hier, wie an vielen anderen touristischen Sehenswürdigkeiten, ein großes Schild mit dem Hinweis stand, dass das Zentrum mit EU-Mitteln gefördert wurde. Man sieht diese Schilder überall auf Kreta, oft auch schon älter und demoliert, ohne Erkennbarkeit irgendeiner Verwirklichung der geplanten Projekte. An den fertiggestellten Projekten weht oft die griechische Flagge und die der EU.
Apropos Schilder: Mir fällt auf, das viele Straßenschilder relativ neu aussehen und die alten, meist durchlöcherten Schilder ersetzt haben. Es wird wohl nicht lange dauern, bis man wieder hindurchgucken kann, denn es ist ein beliebter Freizeitsport auf Kreta und insbesondere in dieser Gegend, Straßenschilder in jeglicher Form als Zielscheibe zu benutzen und zu durchschießen. Es gehört zum Landschaftsbild.
Hoch oben am Ortsanfang geht ein langer Weg rechts ab zu dem kleinen Gebäudekomplex mit Cafetería, Terrasse und Souvenirlädchen. Es stehen nur wenige Autos da und und es ist nicht viel los. Ich frage den Griechen an der Theke im Eingangsbereich nach dem Eintritt in die Höhle und er sagt mir, dass gerade im Moment eine Führung begänne. Er gibt mir ein Infoblatt, ich zahle 5 Euro für das Ticket und gehe draußen einige Natursteintreppen runter bis zum Höhleneingang. Hier wartet schon eine Gruppe von ca.10 Leuten. Der Führer bittet hinein und leitet uns über neu und gut angelegte Metall-Laufstege durch die ca. 3000 m² große Höhle mit 14 Innenräumen, die alle einen eigenen Namen haben. Hin und Wieder wird Halt gemacht und er erzählt einmal auf Englisch und einmal auf Griechisch einiges zur Entstehung und Geschichte der Höhle, die zwar nicht als größte, aber eine der schönsten auf Kreta gilt. Die feingliedrigen und bizarren Tropfsteinformationen, die über zigtausende Jahre entstanden sind, sind zum Teil angestrahlt in Szene gesetzt und könnten die ideale Kulisse für einen Fantasy-Film bilden. Mit gutem Willen lassen sich zufällig entstandene, lebendige Figuren und Gesichter erkennen. In einer Ecke unter dem Höhlengewölbe schaut ein bärtiges Gesicht herab und der Höhlenführer hat mit seiner Bemerkung, dass es Fidel Castro sei, der sich hier verewigt hätte, die Lacher auf seiner Seite. Wie oft mag er das schon gesagt haben, jedesmal mit der Gewissheit diesen Lacher zu platzieren. Ist ja in Ordnung, die Führung hat er professionell und gut gemacht und mein erster, aber wahrscheinlich einziger, Höhlentrip hat sich gelohnt.
Die Höhle wurde übrigens nach einem kretischen Widerstandskämper namens „Sfendóni“, benannt, der sich im 2. Weltkrieg hier versteckt haben soll.
Nach einer Stunde Abkühlung bin froh, wieder in der Sonne zu sein. Neben der Höhlenbesichtigungsempfangsstation hatte ich schon beim Kommen einen gepflegt angelegten Kräutergarten gesehen, den ich mir noch was näher anschaue. Die Kräuterbüschel sind alle mit Ihrer botanischen Bezeichnung versehen und ich rieche mich eine Weile durch, indem ich von jedem ein bisschen Blüte abknapse und zwischen den Fingerspitzen zerreble. Nur angucken wäre ja langweilig.
Ich bin noch immer auf der Suche nach einem Kraut, dessen ätherische Öle einen ähnlichen Duft verbreiten wie Cannabis Sativa. Fährt man auf Kreta mit offenem Fenster durch die Berge, dann kommt einem an manchen Stellen schonmal ein verdammt harziger Geruch in die Nase, der stark an die Hanfpflanze erinnert. Ich weiß noch immer nicht, ob es sich dann um eine versteckte Hanfplantage handelt, oder um eine ähnlich riechende Pflanze. Hab es bisher leider auch noch nicht geschafft, besonders wenn die Familie dabei war, mal bei der plötzlichen Wahrnehmung des Geruchs spontan anzuhalten und, immer der Nase nach, durch die Gegend zu streifen. Selbstverständlich rein aus wissenschaftlichem Interesse....
Leicht beschwingt von den sonnenverwöhnten, intensiv duftenden Kräutern, deren Namen ich zum Teil nicht kenne, mache ich mich auf in die Höhle des Löwen.
Die Hauptstraße windet sich abschüssig an den Wohnhäusern vorbei durch den Ort. Zonianá ist schon ein größeres, sehr langezogenes Dorf mit ein paar Tausend Einwohnern. Wie auch Anogiá ist es sogar im Besitz eines recht ordentlichen Fussballplatzes mit kleiner Tribüne, den ich unten in der Ferne am Rand des Dorfes erkennen kann. In besagter WDR-Reportage „Wunderschönes Kreta“ wurde hier das Interview mit dem Dorf-Popen geführt.
Ich gehe mitten auf der Straße. Es ist noch früh am Tag und wieder herrscht Friedhofsruhe. Rechts und links sehe ich einige einfache Kafeneíons, wo sich aber niemand aufhält. Vielleicht hat sich auch schon rumgesprochen, dass sich ein fremder Eindringling dem Dorf nähert und die Leute lauern schon, bis an die Zähne bewaffnet,hinter Fenster und Türen!
Alles Quatsch: I come in peace!
Unter der heißen Sonne muss ich an den 50er Jahre Western-Klassiker „High Noon“ denken, in dem Gary Cooper als einsamer Held und Kämpfer für Gerechtigkeit allein durch das Dorf in Richtung Showdown mit seinem Widersacher schreitet, den Colt zugbereit an seiner Seite. Keiner der Dorfbewohner hilft ihm, alle haben sich in Ihren Häusern verbarrikadiert, manche gucken nur angsterfüllt durch Fensterläden hindurch.
Er erledigt den Chef-Halunken am Ende im Duell und sein Mut und die Gerechtigkeit haben gesiegt. Nun kann er endlich mit seiner gerade angetrauten Liebsten (Grace Kelly) die Stadt verlassen, die er als Ex-Sheriff noch schnell von der Tyrannei der Verbrecherbande befreien mußte.
Die bekannte Filmmusik im Kopf, komme auf einen größeren Platz zum Zentrum des Dorfes, an dem sich auch ein kleines Wachsfiguren-Museum befindet. Ein älteres Paar sitzt davor und hofft auf Besucher. Ich würde ihnen ja gerne den Gefallen tun, aber ich habe mein Kulturpensum für heute erfüllt.
Der Platz wirkt wieder wie ausgestorben. Zum Duellieren ist auch niemand da. Ein paar Kinder mit Fahrrädern beäugen mich neugierig, und es gibt zwar einige Cafés, aber sie sehen, zumindest tagsüber, nicht sehr einladend aus und scheinen geschlossen zu sein. Ich biege rechts ab und komme nach wenigen Minuten auf einen weiteren, leicht abschüssigen Platz mit einigen Tavernen. Auf eine schöne Terrasse mit schattenspendenden Maulbeerbäumen am unteren Rand des Platzes setze ich mich mit dem Rücken an die Tavernenwand so hin, dass ich alles überblicken kann. Um die Ecke an dem Durchgangssträßchen sitzen 4 Jugendliche und spielen Karten. Mit ziemlichem Getöse, so wie es sich gehört. Von mir nehmen sie kaum Notiz, ich bin halt ein Touri.
Eine junge, vorsichtig ausgedrückt etwas unterbelichtet wirkende Kellnerin, kommt heraus und fragt mich, was ich wünsche. Ich bestelle ein Bier und sie fragt, ob ich nichts essen wolle. Ich verneine und sie bringt mir das Bier mit den obligatorischen Mesédes. Trinken, ohne Essen, geht auf Kreta garnicht.
In einer Taverne auf einer Terrasse zu sitzen und das alltägliche Leben zu beobachten bringt mir ehrlich gesagt mehr, als mich auf kunst-kultur-historischen Pfaden zu bewegen. Museumsbesuche ja, aber nur dosiert. Die geballte Menge an Kunstschätzen , von denen jeder einzelne so bedeutungsschwanger ist, das man sich eigentlich 3 Tage damit beschäftigen müßte, erzeugt bei mir oft ein Beklemmungsgefühl und ich muss wieder raus zum Luft holen. Es ist für mich seit je her wesentlich aufschlussreicher, mich unter Einheimische zu mischen und das aktuelle Leben und Denken der Leute in Echtzeit mitzubekommen, und da ist als Fremder die Kneipe nunmal der naheliegendste Ort.
Auch stundenlang in einer Strand-Taverne sitzen, mit Blick aufs Meer, ist eine meiner Lieblings-(Nicht-) Aktivitäten.
Auf der gegenüberliegenden Terrasse einer Taverne-Pizzeria sitzen einige einheimische Männer und gehen auch dem Nichtstun nach.
Ich sitze bestimmt 2 Stunden hier, lese zwischendurch im „Fohrer“ und die Kellnerin bringt mir immer wieder ungefragt einige Leckereien, insbesondere süße, kleine Trauben zu denen natürlich auch Rakí gehört. Sie will einfach nicht, dass ich möglicherweise mit knurrendem Magen hier sitze und nicht ordentlich versorgt bin.
Hin und wieder kommen Pickups vorbei und ich amüsiere mich über die Tatsache, dass es für kretische Jungs nichts Größeres gibt, als Auto oder Pickup zu fahren, und sie nur auf den Augenblick warten, dass sie, ohne Sitzkissen, so groß sind, dass sie über das Lenkrad schauen können.. Der gerade vorbeifuhr, war höchsten 12 und ist natürlich mächtig stolz, gesehen zu werden. Deshalb fährt er in kurzen Abständen gleich zweimal vorbei. Das ist aber kein regionales Phänomen sondern sieht man überall auf Kreta. Polizei gibt’s entweder nicht oder sie schaut weg.
In den Gebrauch von Waffen, insbesondere Schusswaffen, werden die Kinder traditionell hier auch schon früh eingeführt (Donald Trump lässt grüßen).
Es ist nicht lange her, dass die griechische Regierung Militärtruppen geschickt hat, um dem vermeintlich kriminellen Drogen-und Waffenhandel den Garaus zu machen. Der mediale Druck wurde wahrscheinlich zu groß. Ganz Zonianá hat sich ihnen entgegengestellt und es gab wohl eine Schießerei. Am Ende sind angeblich einige Zonianaer in Athen zu längeren Haftstrafen verurteilt worden.
Als ich aufbrechen will, habe ich eigentlich nur 2 Bier zu bezahlen, alles andere hatte ich ja nicht bestellt. Und sie will tatsächlich nur 4 Euro haben, was mir echt peinlich wäre. Gute Gelegenheit, meinen 50 Euro Schein quitt zu kriegen, 40 zurück, ine kalá. Efkaristó polí kai Sto Kaló!
Zeitgefühl kommt mir auf Kreta immer schon nach ein paar Tagen abhanden. Die Sonne steht schon tief und eigentlich würde ich ja gerne über einen alten Trampelpfad durch die schöne Landschaft zurückgehen, aber dafür ist es zu spät. Man verläuft sich schon bei Tag ziemlich leicht auf Kreta und ich müßte mich erstmal erkundigen, wo es lang geht. So gehe ich den Weg zurück durch den Ort, der mittlerweile deutlich belebter ist. In allen Kafeneíons sitzen Männer bei ihrem Ellinikó und der Fremde, der allein durchs Dorf streift, fällt natürlich auf. Ich müßte jetzt eigentlich am laufenden Band grüßen, aber um nicht den den Grüß-August abzugeben, schaue ich nur gelöst und gehe meines Weges hoch zum Ortsausgang.
Ich kann nicht unerwähnt lassen, dass vor einer Taverne schon wieder Massen von weißen Plastiktischen und -stühlen aufgebaut werden. Keine Ahnung, was hier schon wieder gefeiert wird. Jedenfalls bin ich heute nicht dabei.
Im oberen Teil des Ortes mache ich einen kleinen Schlenker zum Ortsrand mit Blick über das weite, landschaftlich abwechslungsreiche Tal. Es gäb bestimmt noch viel zu entdecken hier in Zonianá....
Zwei alte Frauen sitzen strickender und schwätzender Weise auf einem Betondach eines unfertigen Hauses. Ein typisches Bild. Hier ist natürlich Grüßen angesagt.
Ich gehe wieder in Richtung Ortsausgang über die Kreuzung auf die Straße nach Anógia.
Zufuss gehe ich jetzt nicht über die Straße zurück. Ich halte wieder den Daumen raus und es dauert nicht allzu lange, dass ein griechisches Paar mittleren Alters anhält. Sie kommen aus Zonianá und fahren nach Heráklion und können sie mich bis Anógia mitnehmen. Unterwegs der übliche Small-Talk und ich höre nicht zum ersten Mal, dass Kreta der schönste Teil der Welt sei.
Dem sollte man als Gast nie widersprechen-dem Kreter ist sein Haus, sein Dorf und seine Insel immer heilig.
Am unteren Ortseingang von Anógia lassen sie mich raus und ich gehe ins Unterdorf, um den Tag ausklingen zu lassen. Unterwegs fällt mir auf, dass ich meine Sonnenbrille auf der Rückbank des Autos hab liegen lassen, zum Glück nix teures.
Ich gehe natürlich in meine Stammtaverne mit dem Flammengrill und warte darauf, dass ich Hunger bekomme. Bis spät in der Nacht sitze ich hier, habe Wlan-Empfang, esse und trinke gemächlich und ausgedehnt, diesmal mit Genuss, natürlich Ziege und Schaf von Grill und alles Mögliche dazu. Der Appetit kommt manchmal beim Essen. Am Ende sieht mein Tisch aus, als hätte eine kleine Gesellschaft hier gesessen. Musste mal sein.
Ich gehe dann nur noch schlafen und morgen will ich hoch zur Nida-Ebene, meinem Freund Zeus einen Besuch abstatten.
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Die Dunkelheit bricht langsam an und es wird kühl. Also nehme ich meine letzte Chance auf Rückkehr war und gehe zurück ins Gasthaus. Dort sitzt mein Fahrer gemütlich mit der Wirtin am Tisch und isst. Ich begrüße sie nochmal und sage, dass ich nicht mehr wegkäme, da keine Menschenseele mehr vorbeikäme. Die beiden wundern sich offensichtlich auch darüber, der Junge sagt mir aber freundlich, dass es überhaupt kein Problem sei, mich wieder mit runter zu nehmen. Es würde nur noch ca. 1 Stunde dauern, sie hätten noch einiges zu erledigen. Für mich natürlich kein Problem. Efkaristó!
Der Junge stellt mir seine Mutter vor, namens Aréti, und sagt mir auch seinen Namen, den ich mittlerweile leider vergessen habe. Ich stelle mich ebenfalls vor und bin es bereits gewöhnt, dass die Griechen mit meinem Namen, Kurt, Probleme haben. Obwohl es die Lautfolge auch im Griechischen gibt, kommt es ihnen nur schwer von den Lippen. Manchmal fällt ihnen dann die englische Form leichter (wie bei Kurt Cobain), die sie dann aber eher wie „Kert“ als „Kört“ aussprechen. Wochen später in Lentas werde ich von ein paar Jungs in „Costas“ umgetauft, weil sie es mit meinem Namen satt sind und finden, Costas würde gut zu mir passen.
Ich setze mich an den Nebentisch, trinke noch einen Nescafé und wir beginnen, uns zu unterhalten. Die Mimik von Aréti erhellt sich mehr und mehr, obwohl sie noch immer ziemlich geschafft und müde aussieht. Sie taut jedenfalls auf und findet es gut, dass ich ein wenig Griechisch spreche, denn Englisch ist garnicht ihr Fall. Anders bei Ihrem Sohn, mit dem ich beides spreche. Zwischendurch hat er Einiges zu regeln, wie z.B. gefrorene Ziegenhälften ordentlich in Kühltruhen zu verstauen.
Ich kaufe noch ein kleines Stück Ziegenkäse und ein Fläschchen selbstgebrannten Rakí. Dann brechen wir auf. Alles wird dicht gemacht. Alle Lichter aus. Alles klar. Draußen in der Dunkelheit herrscht wie gehabt Totenstille, der Fiat 500 steht noch da. Der Junge bestätigt mir, dass die beiden Frauen Gipfelschläfer sein müssen. Ich steige hinten in den Kleinwagen ein und der Junge wirft erst mal eine CD mit kretischer Musik ein. Auf der Rückfahrt reden wir noch und er fragt mich, was ich von der Musik hielte und ob ich den Musiker „Vasílis Skoúlas“ kennen würde, den wir gerade hören. Den Namen kenne ich aus dem „Fohrer“ und habe ihn mir gemerkt, weil er das Museum seines verstorbenen Vaters „Alkibíades Skoúlas“, genannt „Griliós“ (die Grille) in Anógia weiterführt, der erst mit 70 Jahren angefangen hatte zu malen und vor wenigen Jahren mit weit über 90 gestorben ist.
Als ich dem Jungen den Namen „Alkibíades“ nenne, und dass mir die kretische Musik und das Lyra-Spiel gefielen, strahlt er übers ganze Gesicht. Und ich stelle wieder fest, dass nicht nur die Älteren, sondern auch die kretische Jugend ihre traditionelle Musik sehr schätzen.
Gerade Anógia ist ein Zentrum traditioneller kretischer Musik und die Brüder Nikos und Psárandonis Xiloúris sind als hervorragende Lyra-Spieler weit über die Grenzen Kretas hinaus bekannt. Níkos Xiloúris starb allerdings schon in jungen Jahren an Krebs, Psárandonis lebt noch.
Dann kommt die Frage, wo ich denn eigentlich wohnen würde in Anógia, und als ich „im Arcádia“ sage, kommt sofort: Bei Niki! Und, wen wundert´s, Níki ist die Tante von Aréti!
Sie lassen mich direkt vor der Tür raus, wünschen mir noch eine gute Reise und wir verabschieden uns herzlich.
Mein Abendessen findet heute auf meinem Zimmer statt. Die süßen Trauben, die mir Níki geschenkt hatte, stehen auf dem Tisch, dazu habe ich noch etwas Brot und den Ziegenkäse und zur Verdünnung noch eine halbe Flasche Retsína. Was will man mehr! Das geschenkte Zimt-Gebäck aus der Taverne werde ich noch 1 Woche im Rucksack haben. Es ist die absolute Notration, die ich aber selbstverständlich in allen Ehren halte.
Ich bin hundemüde und lege mich bald schlafen. Morgen stehe ich um 6 auf, denn um 7 geht der Bus nach Rethimnon. Von da aus in den Süden, langsam macht sich die Sehnsucht nach dem Lybischen Meer bemerkbar.
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