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Thema: Endlich ist das Ding gepackt! Nach 35 Jahren nochmal ein Solo mit Rucksack

  1. #81
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    Ein gutes Frühstück muss jetzt her und ich gehe die Hauptstraße runter durch den Ort. Es ist gegen 10 Uhr und von dem Straßenfest von gestern ist fast nichts mehr zu sehen. Tische und Stühle und auch die Bühne sind größtenteils abgebaut und nur vereinzelt liegen noch einige zusammengekehrte Müllhaufen rum. Einige Leute sind noch mit Aufräumen und Saubermachen beschäftigt, aber das Leben geht weiter wie an einem ganz normalen Sonntagmorgen, als wäre gestern nichts gewesen.
    Da hier oben in Armí kein Frühstück angeboten wird, gehe ich wieder ins Unterdorf nach Perachóri und frühstücke in einem kleinen Café unter Bäumen auf dem schönen Platz. Am Nebentisch sitzt ein junges Paar aus Deutschland und empfiehlt mir das Omelett mit Käse, was ich dann auch nehme und ok ist.
    Zurück im Oberdorf gelange ich über eine steile Treppe auf einen größeren Platz mit einem Denkmal, das ich mir etwas genauer anschaue. In griechischer und deutscher Schrift ist hier der Wehrmachtsbefehl des deutschen Ober-Kommandeurs H. Müller in Stein gemeißelt, der während der Besatzung Kretas im 2. Weltkrieg wegen eines Partisanenaktes befahl, Anógia dem Erdboden gleich zu machen und alle männlichen Dorfbewohner, die sich zu diesem Zeitpunkt in Anógia und Umgebung aufhielten, zu erschießen. Die Namen der vielen Opfer sind hier ebenfalls verewigt.
    Der Gedanke, dass irgendwelche braunen, uniformierten Horden einfach in ferne, friedliche Gegenden einfallen, die überwiegend von Ziegenhirten bewohnt werden und die mit der Weltpolitik nun wirklich nicht viel zu tun haben können, die Häuser zerstören und die Menschen massakrieren, ist ziemlich unerträglich.
    Ich bekomme ein mulmiges Gefühl angesichts der Tatsache, dass ich gestern als Deutscher nur 70 Jahre später hier zu einem Dorffest eingeladen bin, unbekümmert mitfeiern darf und keinerlei Ressentiments erfahre. Auch wenn ich für diese Barbarei keine Mitverantwortung trage, schäme ich mich als Deutscher dafür und würde mich am liebsten bei den alten Männern, die am Rand des Platzes auf der Bank sitzen, entschuldigen.
    Es war nicht das erste Mal, dass Anógia zerstört wurde (wie auch viele andere kretische Dörfer). Im 19. Jahrhundert waren es die türkischen Besatzer, die das Dorf sogar 2 Mal niederbrannten.
    Dass sich aus der jahrhundertelangen, leidvollen Besatzungs-Geschichte Kretas ein starker Freiheits- und Widerstandsdrang entwickelte, ist nur allzu verständlich, und der traditionelle Waffenbesitz ist wohl u.a. auch darin begründet.

    Ich kaufe mir noch 2 Flaschen Wasser und gehe zurück zu meinem Zimmer, um mein Daypack zu holen. Dann starte ich meinen Fußweg ins legendäre Zonianá, das Dorf mit eigenen Gesetzen, wo es angeblich mehr Waffen als Einwohner gibt, und die „Drogen-und Waffenbarone“ regieren. Das Hinweisschild am unteren Ortsausgang zeigt 5 km bis Zonianá, was in 1 Stunde zu schaffen sein muss. Ich gehe links die Straße entlang - es begegnen mir nur wenige Autos und sonst keine Menschenseele. Die Gegend ringsum ist leicht bewaldet und es gibt nichts Besonderes zu sehen. Nach gut einer dreiviertel Stunde komme ich an den Abzweig links nach Zonianá, noch 2 km.
    Entfernungsangaben auf Wegweisern sind auf Kreta immer skeptisch zu betrachten – es kommt häufiger vor, dass z.B. 5 km angezeigt werden und dann nach ca. 5 km wieder 5 km angezeigt werden(kommt in Deutschland aber auch vor).
    Nach einigen Metern geht auf der Straße nach Zonianá rechts ein Weg zu einer Taverne ab. Ich beschließe, dort ein Päuschen einzulegen. Nach ca. 50 Metern an einer langen, neu erstellten Natursteinmauer entlang komme zu der ebenfalls ziemlich neu wirkenden, in gelblichem Putz gehaltenen „Landtaverne“ mit überdachter Außenterrasse. Das gesamte Anwesen scheint neu angelegt zu sein und liegt sehr schön in einem Olivenwäldchen und ich sehe am Ende des staubigen Vorplatzes auf einer Anhöhe eine krippenähnliche Behausung unter Bäumen mit allerlei Getier. Hühner, Gänse, Schafe, Ziegen, Hütehund etc. wohnen hier in einer offensichtlich gut funktionierenden und friedlichen WG.
    Ich setze mich auf die Terrasse an einen mit einer gelben Stofftischdecke gedeckten Tisch und rauche erst mal eine. Es ist absolute Totenstille und mein Kommen scheint noch niemand bemerkt zu haben, wenn überhaupt jemand da ist. Nach einigen Minuten stehe ich auf, gehe zu der verschlossenen Holz-Glastür und schaue in den großen, dunklen Gastraum. Ein kleiner Hund hat mich gesehen, kommt ohne einen Mukser zur Tür und läuft wieder in den hinteren Bereich. Komischer Hund. Ich setze mich wieder hin und nach wenigen Minuten kommt eine junge Frau heraus. Fifi hat ihr wohl Bescheid gesagt. Vermutlich habe ich sie aus Ihrem Mittagsschlaf geholt. Sie begrüßt mich aber freundlich und ich bestelle ein Bier, was sie mir auch umgehend zusammen mit dem üblichen Snack Tomaten, Oliven, Schafskäse, Wurst und dem harten, zwiebackähnlichen „Dakos“ serviert. Sie setzt sich zu mir und ist neugierig, was mich um Himmels Willen zu dieser Tageszeit auf Ihre Terrasse verschlägt. Englisch spricht sie nicht, und so unterhalten wir uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Sie erzählt mir, dass ihr Mann auswärts arbeite und jede freie Minute am Haus und den Außenanlagen arbeiten würde. Ihre Eltern seien erst kürzlich beide verstorben, was sie sehr traurig mache und ich erfahre, dass sie zzt. Ärger mit einem Gänsegeier habe, der ihr schon einige Gänse gerissen hätte.
    Als ich zahlen möchte, stelle ich fest, dass ich zu wenig Kleingeld in der Tasche habe, um Speis´ und Trank und Trinkgeld zu bezahlen, und 50 Euro will oder kann sie nicht wechseln. Also lass ich die knapp 2 Euro liegen und der Rest geht mal wieder aufs Haus „Tipota!“ (macht nix, es ist Nichts).
    Da ich heute außer Tavernenbesuchen zur Gewissensberuhigung auch mal eine politisch korrekte Dosis Kultur mitbekommen möchte, frage ich sie nach der im „Fohrer“ beschriebenen Tropfsteinhöhle, der „Sfendóni-Höhle“, und sie sagt mir, dass ich sie auf dem Weg nach Zonianá rechts oberhalb vom Ort sehen würde und es wäre nicht weit. Sie hätte jetzt auch geöffnet. Efkaristó pára poli! Andío!
    Ich war in meinem Leben noch in keiner Tropfsteinhöhle. Bei der einzigen Gelegenheit auf einer Klassenfahrt nach Attendorn hatte ich mich mit einem Kumpel anderen schönen Dingen gewidmet und mich von der Truppe entfernt.
    Die Straße nach Zonianá steigt ca 1-2 Kilometer leicht an und ich sehe oben rechts in der Ferne ein freistehendes, offensichtlich neu angelegtes Besucherzentrum am Fuss der Berge. Ich meine mich erinnern zu können, dass auch hier, wie an vielen anderen touristischen Sehenswürdigkeiten, ein großes Schild mit dem Hinweis stand, dass das Zentrum mit EU-Mitteln gefördert wurde. Man sieht diese Schilder überall auf Kreta, oft auch schon älter und demoliert, ohne Erkennbarkeit irgendeiner Verwirklichung der geplanten Projekte. An den fertiggestellten Projekten weht oft die griechische Flagge und die der EU.
    Apropos Schilder: Mir fällt auf, das viele Straßenschilder relativ neu aussehen und die alten, meist durchlöcherten Schilder ersetzt haben. Es wird wohl nicht lange dauern, bis man wieder hindurchgucken kann, denn es ist ein beliebter Freizeitsport auf Kreta und insbesondere in dieser Gegend, Straßenschilder in jeglicher Form als Zielscheibe zu benutzen und zu durchschießen. Es gehört zum Landschaftsbild.
    Hoch oben am Ortsanfang geht ein langer Weg rechts ab zu dem kleinen Gebäudekomplex mit Cafetería, Terrasse und Souvenirlädchen. Es stehen nur wenige Autos da und und es ist nicht viel los. Ich frage den Griechen an der Theke im Eingangsbereich nach dem Eintritt in die Höhle und er sagt mir, dass gerade im Moment eine Führung begänne. Er gibt mir ein Infoblatt, ich zahle 5 Euro für das Ticket und gehe draußen einige Natursteintreppen runter bis zum Höhleneingang. Hier wartet schon eine Gruppe von ca.10 Leuten. Der Führer bittet hinein und leitet uns über neu und gut angelegte Metall-Laufstege durch die ca. 3000 m² große Höhle mit 14 Innenräumen, die alle einen eigenen Namen haben. Hin und Wieder wird Halt gemacht und er erzählt einmal auf Englisch und einmal auf Griechisch einiges zur Entstehung und Geschichte der Höhle, die zwar nicht als größte, aber eine der schönsten auf Kreta gilt. Die feingliedrigen und bizarren Tropfsteinformationen, die über zigtausende Jahre entstanden sind, sind zum Teil angestrahlt in Szene gesetzt und könnten die ideale Kulisse für einen Fantasy-Film bilden. Mit gutem Willen lassen sich zufällig entstandene, lebendige Figuren und Gesichter erkennen. In einer Ecke unter dem Höhlengewölbe schaut ein bärtiges Gesicht herab und der Höhlenführer hat mit seiner Bemerkung, dass es Fidel Castro sei, der sich hier verewigt hätte, die Lacher auf seiner Seite. Wie oft mag er das schon gesagt haben, jedesmal mit der Gewissheit diesen Lacher zu platzieren. Ist ja in Ordnung, die Führung hat er professionell und gut gemacht und mein erster, aber wahrscheinlich einziger, Höhlentrip hat sich gelohnt.
    Die Höhle wurde übrigens nach einem kretischen Widerstandskämper namens „Sfendóni“, benannt, der sich im 2. Weltkrieg hier versteckt haben soll.

    Nach einer Stunde Abkühlung bin froh, wieder in der Sonne zu sein. Neben der Höhlenbesichtigungsempfangsstation hatte ich schon beim Kommen einen gepflegt angelegten Kräutergarten gesehen, den ich mir noch was näher anschaue. Die Kräuterbüschel sind alle mit Ihrer botanischen Bezeichnung versehen und ich rieche mich eine Weile durch, indem ich von jedem ein bisschen Blüte abknapse und zwischen den Fingerspitzen zerreble. Nur angucken wäre ja langweilig.
    Ich bin noch immer auf der Suche nach einem Kraut, dessen ätherische Öle einen ähnlichen Duft verbreiten wie Cannabis Sativa. Fährt man auf Kreta mit offenem Fenster durch die Berge, dann kommt einem an manchen Stellen schonmal ein verdammt harziger Geruch in die Nase, der stark an die Hanfpflanze erinnert. Ich weiß noch immer nicht, ob es sich dann um eine versteckte Hanfplantage handelt, oder um eine ähnlich riechende Pflanze. Hab es bisher leider auch noch nicht geschafft, besonders wenn die Familie dabei war, mal bei der plötzlichen Wahrnehmung des Geruchs spontan anzuhalten und, immer der Nase nach, durch die Gegend zu streifen. Selbstverständlich rein aus wissenschaftlichem Interesse....

    Leicht beschwingt von den sonnenverwöhnten, intensiv duftenden Kräutern, deren Namen ich zum Teil nicht kenne, mache ich mich auf in die Höhle des Löwen.
    Die Hauptstraße windet sich abschüssig an den Wohnhäusern vorbei durch den Ort. Zonianá ist schon ein größeres, sehr langezogenes Dorf mit ein paar Tausend Einwohnern. Wie auch Anogiá ist es sogar im Besitz eines recht ordentlichen Fussballplatzes mit kleiner Tribüne, den ich unten in der Ferne am Rand des Dorfes erkennen kann. In besagter WDR-Reportage „Wunderschönes Kreta“ wurde hier das Interview mit dem Dorf-Popen geführt.

    Ich gehe mitten auf der Straße. Es ist noch früh am Tag und wieder herrscht Friedhofsruhe. Rechts und links sehe ich einige einfache Kafeneíons, wo sich aber niemand aufhält. Vielleicht hat sich auch schon rumgesprochen, dass sich ein fremder Eindringling dem Dorf nähert und die Leute lauern schon, bis an die Zähne bewaffnet,hinter Fenster und Türen!
    Alles Quatsch: I come in peace!
    Unter der heißen Sonne muss ich an den 50er Jahre Western-Klassiker „High Noon“ denken, in dem Gary Cooper als einsamer Held und Kämpfer für Gerechtigkeit allein durch das Dorf in Richtung Showdown mit seinem Widersacher schreitet, den Colt zugbereit an seiner Seite. Keiner der Dorfbewohner hilft ihm, alle haben sich in Ihren Häusern verbarrikadiert, manche gucken nur angsterfüllt durch Fensterläden hindurch.
    Er erledigt den Chef-Halunken am Ende im Duell und sein Mut und die Gerechtigkeit haben gesiegt. Nun kann er endlich mit seiner gerade angetrauten Liebsten (Grace Kelly) die Stadt verlassen, die er als Ex-Sheriff noch schnell von der Tyrannei der Verbrecherbande befreien mußte.
    Die bekannte Filmmusik im Kopf, komme auf einen größeren Platz zum Zentrum des Dorfes, an dem sich auch ein kleines Wachsfiguren-Museum befindet. Ein älteres Paar sitzt davor und hofft auf Besucher. Ich würde ihnen ja gerne den Gefallen tun, aber ich habe mein Kulturpensum für heute erfüllt.
    Der Platz wirkt wieder wie ausgestorben. Zum Duellieren ist auch niemand da. Ein paar Kinder mit Fahrrädern beäugen mich neugierig, und es gibt zwar einige Cafés, aber sie sehen, zumindest tagsüber, nicht sehr einladend aus und scheinen geschlossen zu sein. Ich biege rechts ab und komme nach wenigen Minuten auf einen weiteren, leicht abschüssigen Platz mit einigen Tavernen. Auf eine schöne Terrasse mit schattenspendenden Maulbeerbäumen am unteren Rand des Platzes setze ich mich mit dem Rücken an die Tavernenwand so hin, dass ich alles überblicken kann. Um die Ecke an dem Durchgangssträßchen sitzen 4 Jugendliche und spielen Karten. Mit ziemlichem Getöse, so wie es sich gehört. Von mir nehmen sie kaum Notiz, ich bin halt ein Touri.

    Eine junge, vorsichtig ausgedrückt etwas unterbelichtet wirkende Kellnerin, kommt heraus und fragt mich, was ich wünsche. Ich bestelle ein Bier und sie fragt, ob ich nichts essen wolle. Ich verneine und sie bringt mir das Bier mit den obligatorischen Mesédes. Trinken, ohne Essen, geht auf Kreta garnicht.
    In einer Taverne auf einer Terrasse zu sitzen und das alltägliche Leben zu beobachten bringt mir ehrlich gesagt mehr, als mich auf kunst-kultur-historischen Pfaden zu bewegen. Museumsbesuche ja, aber nur dosiert. Die geballte Menge an Kunstschätzen , von denen jeder einzelne so bedeutungsschwanger ist, das man sich eigentlich 3 Tage damit beschäftigen müßte, erzeugt bei mir oft ein Beklemmungsgefühl und ich muss wieder raus zum Luft holen. Es ist für mich seit je her wesentlich aufschlussreicher, mich unter Einheimische zu mischen und das aktuelle Leben und Denken der Leute in Echtzeit mitzubekommen, und da ist als Fremder die Kneipe nunmal der naheliegendste Ort.
    Auch stundenlang in einer Strand-Taverne sitzen, mit Blick aufs Meer, ist eine meiner Lieblings-(Nicht-) Aktivitäten.
    Auf der gegenüberliegenden Terrasse einer Taverne-Pizzeria sitzen einige einheimische Männer und gehen auch dem Nichtstun nach.
    Ich sitze bestimmt 2 Stunden hier, lese zwischendurch im „Fohrer“ und die Kellnerin bringt mir immer wieder ungefragt einige Leckereien, insbesondere süße, kleine Trauben zu denen natürlich auch Rakí gehört. Sie will einfach nicht, dass ich möglicherweise mit knurrendem Magen hier sitze und nicht ordentlich versorgt bin.
    Hin und wieder kommen Pickups vorbei und ich amüsiere mich über die Tatsache, dass es für kretische Jungs nichts Größeres gibt, als Auto oder Pickup zu fahren, und sie nur auf den Augenblick warten, dass sie, ohne Sitzkissen, so groß sind, dass sie über das Lenkrad schauen können.. Der gerade vorbeifuhr, war höchsten 12 und ist natürlich mächtig stolz, gesehen zu werden. Deshalb fährt er in kurzen Abständen gleich zweimal vorbei. Das ist aber kein regionales Phänomen sondern sieht man überall auf Kreta. Polizei gibt’s entweder nicht oder sie schaut weg.
    In den Gebrauch von Waffen, insbesondere Schusswaffen, werden die Kinder traditionell hier auch schon früh eingeführt (Donald Trump lässt grüßen).
    Es ist nicht lange her, dass die griechische Regierung Militärtruppen geschickt hat, um dem vermeintlich kriminellen Drogen-und Waffenhandel den Garaus zu machen. Der mediale Druck wurde wahrscheinlich zu groß. Ganz Zonianá hat sich ihnen entgegengestellt und es gab wohl eine Schießerei. Am Ende sind angeblich einige Zonianaer in Athen zu längeren Haftstrafen verurteilt worden.

    Als ich aufbrechen will, habe ich eigentlich nur 2 Bier zu bezahlen, alles andere hatte ich ja nicht bestellt. Und sie will tatsächlich nur 4 Euro haben, was mir echt peinlich wäre. Gute Gelegenheit, meinen 50 Euro Schein quitt zu kriegen, 40 zurück, ine kalá. Efkaristó polí kai Sto Kaló!

    Zeitgefühl kommt mir auf Kreta immer schon nach ein paar Tagen abhanden. Die Sonne steht schon tief und eigentlich würde ich ja gerne über einen alten Trampelpfad durch die schöne Landschaft zurückgehen, aber dafür ist es zu spät. Man verläuft sich schon bei Tag ziemlich leicht auf Kreta und ich müßte mich erstmal erkundigen, wo es lang geht. So gehe ich den Weg zurück durch den Ort, der mittlerweile deutlich belebter ist. In allen Kafeneíons sitzen Männer bei ihrem Ellinikó und der Fremde, der allein durchs Dorf streift, fällt natürlich auf. Ich müßte jetzt eigentlich am laufenden Band grüßen, aber um nicht den den Grüß-August abzugeben, schaue ich nur gelöst und gehe meines Weges hoch zum Ortsausgang.
    Ich kann nicht unerwähnt lassen, dass vor einer Taverne schon wieder Massen von weißen Plastiktischen und -stühlen aufgebaut werden. Keine Ahnung, was hier schon wieder gefeiert wird. Jedenfalls bin ich heute nicht dabei.
    Im oberen Teil des Ortes mache ich einen kleinen Schlenker zum Ortsrand mit Blick über das weite, landschaftlich abwechslungsreiche Tal. Es gäb bestimmt noch viel zu entdecken hier in Zonianá....
    Zwei alte Frauen sitzen strickender und schwätzender Weise auf einem Betondach eines unfertigen Hauses. Ein typisches Bild. Hier ist natürlich Grüßen angesagt.
    Ich gehe wieder in Richtung Ortsausgang über die Kreuzung auf die Straße nach Anógia.
    Zufuss gehe ich jetzt nicht über die Straße zurück. Ich halte wieder den Daumen raus und es dauert nicht allzu lange, dass ein griechisches Paar mittleren Alters anhält. Sie kommen aus Zonianá und fahren nach Heráklion und können sie mich bis Anógia mitnehmen. Unterwegs der übliche Small-Talk und ich höre nicht zum ersten Mal, dass Kreta der schönste Teil der Welt sei.
    Dem sollte man als Gast nie widersprechen-dem Kreter ist sein Haus, sein Dorf und seine Insel immer heilig.
    Am unteren Ortseingang von Anógia lassen sie mich raus und ich gehe ins Unterdorf, um den Tag ausklingen zu lassen. Unterwegs fällt mir auf, dass ich meine Sonnenbrille auf der Rückbank des Autos hab liegen lassen, zum Glück nix teures.
    Ich gehe natürlich in meine Stammtaverne mit dem Flammengrill und warte darauf, dass ich Hunger bekomme. Bis spät in der Nacht sitze ich hier, habe Wlan-Empfang, esse und trinke gemächlich und ausgedehnt, diesmal mit Genuss, natürlich Ziege und Schaf von Grill und alles Mögliche dazu. Der Appetit kommt manchmal beim Essen. Am Ende sieht mein Tisch aus, als hätte eine kleine Gesellschaft hier gesessen. Musste mal sein.
    Ich gehe dann nur noch schlafen und morgen will ich hoch zur Nida-Ebene, meinem Freund Zeus einen Besuch abstatten.

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    Geändert von belgofritz (29.June.2017 um 09:20 Uhr)

  2. #82
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    wunderschön,wieder so lebendig als wär man dabei

  3. #83
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    jassou belgofritz, das war für mich bis jetzt dein bester Bericht. Mach weiter so.....

    Zu der Zerstörung von Anogia: http://www.explorecrete.com/history/...struction.html

    vg, kv

  4. #84
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    Zur Nida-Hochebene mit der etwas oberhalb liegenden „Idäischen Höhle“ (Ídeon Andrón) auf ca. 1.500 m ü.NN fahren keine öffentlichen Verkehrsmittel. Laut „Fohrer“ kann man früh morgens am Ortsausgang auf der einzigen Straße, die hoch führt, mit einem „Bauerntaxi“ mitfahren, Ziegenhirten, die zu ihren Herden fahren und dann meist auch erst abends wieder zurückfahren.
    Da ich nicht gerade ein passionierter Frühaufsteher bin, verzichte ich darauf und lasse es entspannt angehen. Ich lasse es drauf ankommen: Irgendwie komme ich schon hoch und auch wieder runter, und wenn nicht, dann eben nicht.

    Nach einem guten Frühstück im Unterdorf mache ich mich gegen Mittag zum oberen Ortsausgang auf, komme an einer großen Käserei vorbei, gehe ein Stück die Serpentine hoch und stelle mich hinter dem letzten Haus, einer Taverne mit großer Terrasse in einer scharfen Linkskurve, an die Straße. Von hier aus hat man einen schönen Blick runter auf das im Berghang in der Mittagssonne liegende Anógia. Ich stehe eine ganze Weile hier und es kommt kein einziges Auto vorbei. Auf der Terrasse der Taverne sitzt ein bärtiger Mann, gewohnt schwarz gekleidet, mit dem Rücken an die Hauswand gelehnt im Schatten und hat mich natürlich längst im Blick. Nach einer Viertelstunde muss ich aus der Sonne raus und stelle mich auf die gegenüberliegende Seite an eine Natursteinmauer unter schattenspendende Bäume. Es kommen nur ganz wenige Fahrzeuge vorbei, deren Fahrer mir signalisieren, dass sie nicht bis zur Ebene hochfahren. Nach weiteren ca. 20 Minuten kommt überhaupt keiner mehr vorbei und ich beschließe, in der Taverne erst mal einen Kaffee zu trinken. Der schon erwähnte Grieche ist der Wirt. Ich setze mich an den Nebentisch, und er begrüßt mich freundlich. Nachdem er mir den guten Nescafé, natürlich mit dem obligatorischen Glas Wasser, gemacht hat, setzt er sich wieder hin und fragt mich, wo ich herkomme etc.. Ich solle nur Geduld haben und käme schon hoch zur Nida und auch wieder runter. Nach einigen Minuten kommt ein Auto an, aus dem ein Paar aussteigt und mit Einkaufstaschen bepackt in die Taverne geht. Die Frau nimmt kurz Notiz von mir und kommt wenig später mit einem kleinen Teller voller Zimtgebäck an meinen Tisch.
    Ich bedanke mich für die Gastfreundlichkeit, aber mir ist es gleichzeitig etwas unangenehm, da ich zum Einen nicht so sehr auf Süßes stehe und zum Anderen in der Hitze jetzt maximal 1 Höflichkeits-Plätzchen runterbekomme. Der Grieche und ich wechseln noch ein paar Worte, dann bezahle ich und will mich wieder an die Straße stellen. Die Wirtin bekommt dies natürlich mit und kommt mit einem Frühstücksbeutel für die Kekse angerannt, packt diese ein und gibt sie mir als Proviant für die Bergtour mit. Voll nett.
    Ich stelle mich wieder an die Straße und warte einige Minuten bis ich einen weißen Kleinwagen unten von Anogia hinaufkommen sehe. Der Tavernenwirt weiß natürlich, wer da kommt, und springt die Treppen runter mitten auf die Straße, hält den Wagen an und gibt dem Fahrer zu Verstehen, dass er mich mitnehmen solle. Ich freue mich, gehe hin und steige ein. Ein junger Mann, vielleicht 20, grüßt mich und wir fahren los. Er erzählt mir, dass er der Inhaber der einzigen Gaststätte sei, die oben auf der Hochebene ist. (Laut Fohrer Ausgabe 2012 war das Gasthaus noch im Bau und nicht in Betrieb. Der junge Mann meinte zu mir, dass seine Familie es schon seit einigen Jahren ununterbrochen betreiben würde).

    Als ich einstieg, hatte uns ein roter, nagelneu aussehender Fiat 500 mit 2 Blondinen überholt. Nach wenigen Minuten haben wir das Auto wieder vor uns und überholen es wieder. Beruhigend zu wissen, dass doch noch Andere zur Hochebene hochfahren, die mich dann vielleicht wieder mit hinunter nehmen können.
    Der junge Mann fährt die endlos erscheinende Serpentine, die er wohl schon hunderte Male gefahren ist, zügig und routiniert hoch. Die Landschaft wird allmählich zur Steinwüste und man hat immer wieder herrliche Blicke auf die Berglandschaft und auch zurück in Richtung Nordküste. Mein Fahrer deutet auf das Psilorítis-Massiv und fragt mich, ob ich schonmal auf dem „Tímios Stavrós“ (höchster Gipfel mit 2456 m ü.NN) gewesen sei. Ich verneine, und er erzählt mir, dass er den Gipfel schon 5 Mal bestiegen hätte, schon als kleiner Junge mit seinem Vater, und dass es für ihn immer wieder ein großes Erlebnis sei, die Nacht dort oben mit Freunden zu verbringen. Bei klarer Sicht muss der Ausblick in alle Himmelsrichtungen weit über die Insel hinaus fantastisch sein, vom nächtlichen Sternenhimmel ganz zu schweigen.
    Naiverweise versuche ich die ganze Fahrt über den Gipfel zu entdecken, was von hier aber natürlich nicht möglich ist, da man einfach zu nah dran ist und das gewaltige Massiv den Blick versperrt. Ich habe keinerlei Bergsteigererfahrung und bin kein Alpinist, aber das ist hier auch nicht erforderlich. Von der Hochebene aus braucht man ca. 4-5 Stunden und man sollte lediglich gut auf den Beinen sein. Entsprechend geeignetes Schuhwerk für die steinigen und holprigen Wege ist wichtig und natürlich: Viel, viel Wasser. Außerdem sollte man für die Übernachtung auf dem Gipfel Schlafsack, Verpflegung und etwas warme Kleidung dabeihaben, da es auch im Hochsommer schonmal ziemlich kalt werden kann. Mein Fahrer erzählt mir, dass sogar die weit unterhalb des Gipfels liegende Hochebene manchmal noch im Juni schneebedeckt sei, und man besser den Juli abwarten sollte, wenn man auf dem Gipfel nicht von eisiger Kälte und Schnee überrascht werden wollte.

    Für mich ist dieses Projekt heute kein Thema. Zum Einen ist es ohnehin schon zu spät am Tage und zum Anderen habe ich nicht die nötige Ausrüstung dabei. Mir reicht heute die Hochebene mit einem Besuch der „Zeus-Höhle“, die etwas oberhalb liegt. Ich kann mir jedoch sehr gut vorstellen, z.B. mal mit einem Freund einen Kurztrip nach Kreta zu machen, eigens für eine Gipfeltour mit Übernachtung. Anógia ist dafür ein sehr guter Ort, um sein „Basislager“ aufzuschlagen.
    Mit einem Mietwagen würde sich bestimmt auch der von „Fohrer“ beschriebene Weg zum auf 1760 m Höhe einsam gelegenen Skínakas-Observatorium lohnen, einer von der Universität Kreta zusammen mit dem Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik errichteten Sternwarte. Besonders reizen würde mich hier auch der mögliche Blick auf „die andere Seite“ nach Süden über die Messará-Ebene aufs Libysche Meer. Und es gibt hier einen befahrbaren Weg über Gérgeri nach Záros (bekannt für die Trinkwasserquellen) im Süden.

    Nach ca. 25 Minuten hinter einem Pass auf ca.1500 m taucht links von uns zum ersten Mal in der Ferne die riesige Nida-Ebene auf, auf die mich der junge Kreter sofort ganz stolz hinweist.
    Die Straße führt nun wieder leicht abschüssig oberhalb der auf 1370 m Höhe gelegen Hochebene entlang, immer wieder mit fantastischem Blick auf das weite Plateau, bis wir unser Ziel auf einem großen, geteerten Platz mit dem Gasthaus erreichen. Es stehen einige wenige Autos dort und das Haus macht von außen einen etwas abgewrackten, unfertigen und halb verlassenen Eindruck. Ich bedanke mich bei dem Jungen für die Mitnahme und sage ihm, dass ich später sicher in seine Taverne kommen werde. Nach kurzer Zeit trifft auch der Fiat 500 mit den beiden Damen ein. Ich sehe nur vereinzelt einige Touristen, die genauso wie ich versuchen, Orientierung zu bekommen. Die Wegweiser aus Holz sind wie immer nicht ganz eindeutig. Einige hundert Meter höher im Berghang gelegen kann man aber schon gut eine mit Natursteinmauern und Zäunen umgebene Besucherstätte erkennen, die wohl den Eingang zur Idäischen Höhle markiert. In diese Richtung mache ich mich über einen kurzen, steilen Trampelpfad auf, der auf einen breiteren Schotterweg führt, über den man auch mit dem Auto zur Höhle gelangen kann.
    Es ist übrigens die beschriebene Piste aus Richtung Gérgeri im Süden kommend (laut Fohrer)

    Die gesamte Einfriedung des Geländes mit kleinem Natursteingebäude am Eingang scheint noch ziemlich neu zu sein und erinnert mich ein wenig an das Infozentrum vor der Sfendóni-Höhle in Zonianá. Vielleicht war es ursprünglich auch mal als solches geplant, es macht aber jetzt einen ziemlich leblosen Eindruck. Das Gittertor am Eingang ist verschlossen und in dem kleinen Gebäude daneben tut sich nichts. Möglicherweise ist die Besucherzahl doch nicht groß genug, um hier ein solch ein Zentrum zu betreiben.
    Also steigt jeder über die seitlichen Begrenzungsmauern über den Zaun, um über den weiten, staubigen Vorplatz, der teilweise mit Natursteinbänken eingefasst ist, zur Höhle zu gelangen, die sich wie ein riesiger, schwarzer Schlund im Berghang öffnet. Eine angelegte Treppe mit Geländer führt nach unten in einen gewaltigen, kuppelförmigen Hohlraum, der Tageslicht vom hoch oben liegenden Eingang erhält. Nach links und rechts öffnet sich die Höhle ins dunkle Bergmassiv, wo man dann nur noch mit Taschenlampe weiterkommt und nach ca. 10 Metern die begrenzenden Höhlenwände und -decken erkennen kann. Es haben schon etliche Ausgrabungen hier stattgefunden und es wurden in einer erst 1955 entdeckten Seitenkammer der Höhle bedeutende Funde aus frühsten Epochen gemacht, die im archäologischen Museum in Heraklion ausgestellt sind. Von den letzten Ausgrabungen im Jahr 1982 ist noch eine stählerne Lorenbahn übrig geblieben, über die Erdreich und Ausgrabungen nach oben transportiert wurden. Sie rostet nun gemächlich vor sich hin.

    Dem Mythos nach wuchs der Göttervater Zeus in dieser Höhle auf, nachdem ihn seine Mutter Rea aus seiner Geburtshöhle von Psichró in der Lassithi-Hochebene hierhin verbracht hatte, um ihn vor dem Zugriff seines schrecklichen Vaters Kronos zu retten, der seine Kinder zu verspeisen pflegte.
    Ich möchte an dieser Stelle mal sagen, dass es nicht mein Ansinnen ist, ausführlicher über die griechische Mythologie, Archäologie und (Kunst u. Kultur)-Geschichte zu berichten. Ich glaube, es würde die meisten nur langweilen, und für jeden, der sich dafür interessiert, gibt es an anderer Stelle genügend Möglichkeiten, sich schlau zu machen. Zudem würde ich wohl niemals mit meinem ohnehin schon etwas ausufernden Reisebericht fertig werden. Und ich müßte mich ohnehin selber erst kundig machen.

    Nach ca. 20 Minuten Aufenthalt in der schattigen Höhle wird mir langsam kalt und ich muss wieder in die Sonne. Auf einer der Natursteinmauern am Vorplatz mache ich ein kleines Picknick und beobachte vor allem die Ziegen, schöne Tiere in allen Variationen, die überall zwischen den Felsen und dem Gestrüpp auftauchen und nach was Essbarem suchen. Obwohl hier permanent irgendwelche Leute rumlaufen, an die sie sich eigentlich längst gewöhnt haben müssten, sind sie doch immer noch skeptisch und scheu und weichen jedem Annäherungsversuch schnell aus. Immer nur soweit, dass sichere Distanz besteht. Und die unnachahmliche Art und Weise, wie sie sich in senkrechten und noch so glatten Felswänden bewegen und festen Stand haben, ist schon beeindruckend. Und doch kommt es immer wieder vor, dass sie sich entweder überschätzen oder aus anderen Gründen aus höchster Höhe abstürzen und verenden. Besonders in den zahlreichen Schluchten auf Kreta sind die herumliegenden Ziegen-Kadaver ein gewohntes Bild. Für Geier und andere Aasfresser natürlich ein gefundenes Fressen.

    Gut gestärkt laufe ich noch ein wenig in der Gegend um die Höhle herum und mache mich dann querfeldein wieder auf den Weg hinunter Richtung Parkplatz. Interessant finde ich den Hinweis im Fohrer auf eine „kräftig sprudelnde Quelle“ in der Nähe und habe die erquickende Vorstellung, mich gleich mit köstlich frischem Quellwasser zu erfrischen. Aber irgendwie komme ich mit der Lagebeschreibung nicht klar und irre durch die felsige und mit der typischen Phryganá und Mácchia ( trockenes Dornen-Gestrüpp) bewachsenen Hügellandschaft. Das Gelände ist äußerst unwegsam und anstrengend, und in der Hitze erlebe ich ständig eine Art Fata Morgana, da ich immer wieder meine, hinter dem nächsten Hügel oder Felsbrocken eine sprudelnde Quelle zu hören. Nach einer Stunde gebe ich auf und gehe wieder Richtung eines mit Bäumen bewachsenen, schön gelegenen Platzes mit einer kleinen, alten Kapelle und einigen Gräbern oberhalb des Parkplatzes. An einem Grab lese ich die Inschrift für einen 26jährigen Kreter, der hier im September 1943 von deutschen Soldaten erschossen wurde.
    Nur einige Meter weiter komme ich zu einer überdachten Viehtränke, wo sich auch die Quelle befinden könnte. Allerdings sehe ich nur einige gemauerte Tröge mit ziemlich schmutzigem Wasser. Die beschriebene Quelle muss hier sein, aber Sprudeln sehe und höre ich nichts.

    Ich beschließe, keine weiteren Erkundungen zu unternehmen und mich langsam in das Gasthaus zu begeben. Es gibt hier oben noch Etliches zu entdecken, aber ein fahrbarer Untersatz wäre schon erforderlich.

    Das bedeutende Monument „Andártis“ (Partisan) der Berliner Künstlerin Katharina Raeck würde ich mir gerne anschauen, befindet sich aber diagonal gegenüber am anderen Ende der Hochebene. Es soll aber nicht unerwähnt bleiben:
    Unter Mithilfe zahlreicher Bewohner der Umgebung hat die engagierte Frau zur Ehrung der kretischen Freiheitskämpfer und als Beitrag zur deutsch-griechischen Aussöhnung Anfang der 90er Jahre eine liegende, geflügelte Steinskulptur von 32 x 9 m! Größe geschaffen. In monatelanger, harter Arbeit wurden große Felsblöcke, die die Bewohner von Anógia im 2. Weltkrieg auf der Hochebene verteilt hatten, um die Landung deutscher Flugzeuge zu verhindern, zu einem Mahnmal mit dem Namen: „Der Partisan - Monument für den Frieden“ zusammengesetzt. Leider soll es heute fast bis zur Unkenntlichkeit von der Natur überwachsen und nicht mehr so gut zu erkennen sein.

    Am Gasthaus angekommen, gehe ich einige Stufen runter zum Eingang und staune beim Eintreten nicht schlecht, dass es ein ziemlich großer und solide eingerichteter Gastraum ist. Auf kleinen Tischen und in Regalen werden regionale Spezialitäten aus eigener Herstellung für kleines Geld angeboten: Das übliche Programm, Olivenöl, Seife, Kräuter, Tees, Käse, Wein und natürlich Rakí. Ich gehe durch das fast leere Lokal auf eine riesige Außenterrasse mit grandiosem Panoramablick über das weite Hochplateau. Zwei griechische Ehepaare, denen ich schon an der Höhle begegnet war, sitzen zum Essen auf der Terrasse. Ansonsten bin ich der einzige Gast. Ich gehe erst mal bis zum Ende der Plattform, die komplett gefliest ist, aber schon von Winterschäden arg gezeichnet, und nehme mein kleines Fernglas aus dem Rucksack. Wie im Reiseführer beschrieben, ist es tatsächlich so, dass man mit dem bloßen Auge kaum irgendeine Regung in der Ebene erkennt. Je nach Windbewegung hört man schonmal ein leises Bimmeln der Halsglöckchen von Ziegen und Schafen. Erst durch die Vergrößerung mit dem Fernglas sieht man, dass die hellen Farbflecken in der im Sommer trockenen Grasebene zahllose Ziegen-und Schafherden sind. Und es ist interessant zu beobachten, dass die modernen Hirten ihre Tiere mithilfe Ihrer Pickups hüten bzw. in die gewünschte Richtung manövrieren. Hütehunde helfen natürlich mit. Von alledem ist mit bloßem Auge fast nichts zu erkennen, weil der Höhenunterschied und die Entfernung auch von hier aus noch so groß sind.
    Mir fallen auch die typischen, runden Steinhütten (mitáto) der Ziegenhirten auf, die überall vertreut stehen, und am Rand der Ebene zwischen schönem Baumbestand die Ziegenpfersche. Eine ganze Weile halte ich mich am Rande der Plattform auf und beobachte mit dem Fernglas die beeindruckende Landschaft mit dem ringsum aufsteigenden Gebirge. Dann setze ich mich auf die Terrasse und warte auf Bedienung. Es dauert ein wenig, bis eine junge Frau zu mir kommt und fragt, was ich wünsche. Sie macht einen nicht gerade freundlichen und etwas abgespannten Eindruck. Möglicherweise macht ihr der offensichtlich mangelnde Umsatz zu schaffen. Ich bestelle ein Bier, Hunger habe ich keinen. In der Küche hatte ich kurz meinen Fahrer gesehen, der dort die ganze Zeit mit groß Reinemachen beschäftigt ist. Ich weiß nicht, ob er auch Notiz von mir genommen hatte. Das Bier kommt (diesmal ohne die üblichen Leckereien) und ich halte mich noch eine Zeit hier auf, lese im Fohrer und schaue in die Weite. Nach einem weiteren Bier, was ich mir an der Theke selber geholt hatte, zahle ich und verabschiede mich. Die Wirtin macht nach wie vor einen ziemlich schlecht gelaunten Eindruck. Ich weiß es aber auch zu schätzen, dass der Kreter ungern eine freundliche Fassade aufsetzt, obwohl es ihm schlecht geht, ihn etwas bedrückt oder er einen Schicksalsschlag erlitten hat. Es ist auch ein Zeichen von Authentizität, woran es m.E. in unseren Landen bisweilen mangelt.
    Draußen auf dem Parkplatz ist schon keine Sonne mehr. Die Zeit ist wieder verronnen. Es ist so gegen 7.00 Uhr. Die beiden griechischen Ehepaare verlassen auch gerade das Lokal, steigen in ihr Auto und fahren ab. Für mich wäre hier kein Platz mehr im Wagen gewesen. Ich sehe nur noch den kleinen Fiat 500 der beiden Mädels einsam am Ende des Parkplatzes stehen und den Kleinwagen der Gastwirte. So langsam müssten die beiden ja vor Einbruch der Dunkelheit mal wieder auftauchen. Ich stelle mich am Ausgang des Parkplatzes an die Straße und bin davon überzeugt, dass ich eine Mitfahrgelegenheit kriege. Nur, es kommt fast kein Fahrzeug vorbei. Ein einziger Hirtenpickup kommt am gegenüberliegenden Ende des Parkplatzes die Schotterpiste runtergefegt und donnert an mir vorbei. Ich hatte auch nicht den Daumen rausgehalten, da ich es für selbstverständlich hielt, dass er anhält. Kann eigentlich nur so sein, dass er nicht bis Anógia fährt. So spaziere ich mindestens eine Stunde vom Gasthaus zur Straße hin und her und fange an, der gespentischen Stille zuzuhören. Ich kann mich nicht erinnern, je in meinem Leben eine derartige Bewegungslosigkeit und vor allem Stille erlebt zu haben. Nur ähnlich einmal vor Jahren, als bei einer großen Sonnenfinsternis im Garten meines Elternhauses plötzlich alle Vögel verstummten und eine Totenstille war.
    Mit aller Ohren-Kraft versuche ich auch nur den geringsten Laut zu vernehmen. Kein Geräusch in der Ferne, kein Vogel, kein Ziegenglöckchen, kein Windzug: Absolut Nichts! Auch aus dem Gasthaus: Null! Ein lärmgeschädigter Städter, der im abendlichen Hochgebirge Kretas plötzlich einer solch ultimativen Stille ausgesetzt ist, dass er fast verrückt wird. Schönes Erlebnis.
    Langsam wird mir auch klar, das die beiden Fiat 500-Mädels das einzig Richtige getan haben, nämlich am frühen Nachmittag die Besteigung des Gipfels anzugehen, um dann dort zu übernachten und am nächsten Morgen wieder abzusteigen. Ein wenig Neid kann ich nicht verhehlen.
    Geändert von belgofritz (26.June.2017 um 14:42 Uhr)

  5. #85
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    Die Dunkelheit bricht langsam an und es wird kühl. Also nehme ich meine letzte Chance auf Rückkehr war und gehe zurück ins Gasthaus. Dort sitzt mein Fahrer gemütlich mit der Wirtin am Tisch und isst. Ich begrüße sie nochmal und sage, dass ich nicht mehr wegkäme, da keine Menschenseele mehr vorbeikäme. Die beiden wundern sich offensichtlich auch darüber, der Junge sagt mir aber freundlich, dass es überhaupt kein Problem sei, mich wieder mit runter zu nehmen. Es würde nur noch ca. 1 Stunde dauern, sie hätten noch einiges zu erledigen. Für mich natürlich kein Problem. Efkaristó!
    Der Junge stellt mir seine Mutter vor, namens Aréti, und sagt mir auch seinen Namen, den ich mittlerweile leider vergessen habe. Ich stelle mich ebenfalls vor und bin es bereits gewöhnt, dass die Griechen mit meinem Namen, Kurt, Probleme haben. Obwohl es die Lautfolge auch im Griechischen gibt, kommt es ihnen nur schwer von den Lippen. Manchmal fällt ihnen dann die englische Form leichter (wie bei Kurt Cobain), die sie dann aber eher wie „Kert“ als „Kört“ aussprechen. Wochen später in Lentas werde ich von ein paar Jungs in „Costas“ umgetauft, weil sie es mit meinem Namen satt sind und finden, Costas würde gut zu mir passen.
    Ich setze mich an den Nebentisch, trinke noch einen Nescafé und wir beginnen, uns zu unterhalten. Die Mimik von Aréti erhellt sich mehr und mehr, obwohl sie noch immer ziemlich geschafft und müde aussieht. Sie taut jedenfalls auf und findet es gut, dass ich ein wenig Griechisch spreche, denn Englisch ist garnicht ihr Fall. Anders bei Ihrem Sohn, mit dem ich beides spreche. Zwischendurch hat er Einiges zu regeln, wie z.B. gefrorene Ziegenhälften ordentlich in Kühltruhen zu verstauen.
    Ich kaufe noch ein kleines Stück Ziegenkäse und ein Fläschchen selbstgebrannten Rakí. Dann brechen wir auf. Alles wird dicht gemacht. Alle Lichter aus. Alles klar. Draußen in der Dunkelheit herrscht wie gehabt Totenstille, der Fiat 500 steht noch da. Der Junge bestätigt mir, dass die beiden Frauen Gipfelschläfer sein müssen. Ich steige hinten in den Kleinwagen ein und der Junge wirft erst mal eine CD mit kretischer Musik ein. Auf der Rückfahrt reden wir noch und er fragt mich, was ich von der Musik hielte und ob ich den Musiker „Vasílis Skoúlas“ kennen würde, den wir gerade hören. Den Namen kenne ich aus dem „Fohrer“ und habe ihn mir gemerkt, weil er das Museum seines verstorbenen Vaters „Alkibíades Skoúlas“, genannt „Griliós“ (die Grille) in Anógia weiterführt, der erst mit 70 Jahren angefangen hatte zu malen und vor wenigen Jahren mit weit über 90 gestorben ist.
    Als ich dem Jungen den Namen „Alkibíades“ nenne, und dass mir die kretische Musik und das Lyra-Spiel gefielen, strahlt er übers ganze Gesicht. Und ich stelle wieder fest, dass nicht nur die Älteren, sondern auch die kretische Jugend ihre traditionelle Musik sehr schätzen.
    Gerade Anógia ist ein Zentrum traditioneller kretischer Musik und die Brüder Nikos und Psárandonis Xiloúris sind als hervorragende Lyra-Spieler weit über die Grenzen Kretas hinaus bekannt. Níkos Xiloúris starb allerdings schon in jungen Jahren an Krebs, Psárandonis lebt noch.

    Dann kommt die Frage, wo ich denn eigentlich wohnen würde in Anógia, und als ich „im Arcádia“ sage, kommt sofort: Bei Niki! Und, wen wundert´s, Níki ist die Tante von Aréti!
    Sie lassen mich direkt vor der Tür raus, wünschen mir noch eine gute Reise und wir verabschieden uns herzlich.
    Mein Abendessen findet heute auf meinem Zimmer statt. Die süßen Trauben, die mir Níki geschenkt hatte, stehen auf dem Tisch, dazu habe ich noch etwas Brot und den Ziegenkäse und zur Verdünnung noch eine halbe Flasche Retsína. Was will man mehr! Das geschenkte Zimt-Gebäck aus der Taverne werde ich noch 1 Woche im Rucksack haben. Es ist die absolute Notration, die ich aber selbstverständlich in allen Ehren halte.
    Ich bin hundemüde und lege mich bald schlafen. Morgen stehe ich um 6 auf, denn um 7 geht der Bus nach Rethimnon. Von da aus in den Süden, langsam macht sich die Sehnsucht nach dem Lybischen Meer bemerkbar.

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    Geändert von belgofritz (26.June.2017 um 14:52 Uhr)

  6. #86
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    Sehr guter Bericht, ich lese immer noch begeistert mit

    Diese absolute Stille habe ich auf Kreta noch nicht erlebt, aber in den USA im Death Valley vor etlichen Jahren in einem kleinen Canyon. Auf dem Parkplatz stand nur ein Auto außer unserem. Wir sind ein Stück hinein gelaufen, mir wurde es zu heiß und ich stellte mich in den Schatten. Mein Mann ist weiter gelaufen und kam und kam nicht zurück. Ich habe keinen Laut vernommen...... Absolute Stille...... da wird es einem Stadtmenschen wirklich mulmig, obwohl ich bis dahin dachte, ich mag es, wenn es so ruhig ist. Ich kann das also sehr gut nachvollziehen

    Vielen Dank, dass Du Deine Erlebnisse so eindrucksvoll schilderst

  7. #87
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    Kalispera "Costas", toller Bericht, hat Spass gemacht die beiden Berichte zu lesen. Dein Motto "Irgendwie komme ich schon hoch und auch wieder runter, und wenn nicht, dann eben nicht.", ist auch meins. Ich hab zwar auch schon mal 1-2 Stunden irgendwo auf Kreta gestanden, und es kam kein Auto. Aber wie du schon gesagt hast, irgendwie kommt man immer weg. Ein Hirte, oder jemand der nach seinen Bienen, zum seinem Weinfeld oder Olivenhain fährt kommt schon vorbei........

    vg nach Aachen, kv

  8. #88
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    Danke für die Fortsetzung , ich lese Deine Berichte sehr gerne ! Mir gefällt auch , wie Du reist und daß Du alles ruhig angehst, die Dinge so nimmst wie sie gerade kommen. Auf die Weise hat man schöne und interessante Begegnungen , die man nicht wieder vergisst :)

    Viele Grüsse Sabine
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  9. #89
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    Zitat Zitat von kiki Beitrag anzeigen
    Mir gefällt auch , wie Du reist und daß Du alles ruhig angehst, die Dinge so nimmst wie sie gerade kommen. Auf die Weise hat man schöne und interessante Begegnungen , die man nicht wieder vergisst :)

    Viele Grüsse Sabine
    mir gefällt auch sehr die Ruhe und Gelassenheit die belgofritz bei seinen Aktivitäten/Ausflügen auf Kreta ausstrahlt. Alles schön siga siga angehen.......

    vg, kv

  10. #90
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    Schön, dass es weiter geht.
    Wir haben mit unseren WOMO eine Nacht auf der Nida oben an der Kapelle verbracht. Diese Stille und dieser Sternenhimmel bleiben unvergesslich.
    Inke


    Lasst uns immer in den großen Traum des Lebens
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  11. #91
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    Wunderschön zu lesen. Ich bin schon gespannt, wie es weitergeht.
    Gruß Dorad

  12. #92
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    Tschüss Anógia!

    Der Handy-Wecker geht um 5.45. Ich habe bestens geschlafen. Gestern Abend hatte ich Níki übrigens noch ein schwarzes Saríki als Souvenir abgekauft, 10 €.

    Erstmal duschen, die restlichen Sachen einpacken, dann ein kleines Frühstück mit dem Rest Trauben, Käse und Wasser. Das nächste Zimmer muss unbedingt wieder eine Kaffee-Koch-Möglichkeit haben, was meistens auch der Fall ist.
    Mein Bus um 7 hält praktischerweise genau vor der Tür, das blaue Ktel-Schild hängt an der Hauswand. Sicherheitshalber bin ich um 6.50 Uhr schon unten. Ich verabschiede mich von Níki und Ihrer Tochter, die noch schnell die Treppe hochgeht, um zu checken, dass im Zimmer und Bad alles in Ordnung ist. Habe ich volles Verständnis für, denn, bei allem Vertrauen, machen Zimmervermieter leider auch schlechte Erfahrungen mit unliebsamen Zeitgenossen, die entweder wie die Vandalen hausen oder irgendwas mitgehen lassen, was sie eigentlich nicht brauchen können. Gerade auch Kurzzeitmieter, und Hotelbesitzer können ein Lied davon singen, dass es wirklich nichts gibt, was nicht geklaut wird.
    Meine Rucksäcke stelle ich sichtbar an die schmale Straße, und ich stelle mich gegenüber hin, um einen guten Überblick zu haben. Kurz vor 7 sehe ich oben aus Richtung Heráklion den Bus heranheizen. Ich gehe über die Straße, winke kurz zur Sicherheit und will mein Gepäck nehmen. Der Bus jagt aber ungebremst an mir vorbei. Kann es sein, dass es nur ein Reisebus war? Es ist um diese Zeit kaum eine Menschenseele auf der Straße, und ich stehe nunmal deutlich sichtbar genau an der Haltestelle, von denen es hier auf der Hauptstraße auch nicht so viele gibt. Ich warte noch ein paar Minuten, dann kommen Níki und Tochter auf den Hof und ich frage sie, ob das eben tatsächlich der Linienbus gewesen sein könnte. Sie können es auch nicht glauben, die Tochter rennt einige Meter hoch zur Nachbarin und fragt nochmal nach. Sie bestätigt, dass es der 7 Uhr-Bus war. Der Bus war wirklich mit einem Affenzahn die schmale, abschüssige Straße runtergejagt, und ich war eigentlich nicht zu übersehen. Ich hatte ja auch Zeichen gegeben. Hätte ich mich mehr auf die Straße gestellt, könnte ich diesen Bericht jetzt wohl nicht mehr schreiben. Auch Níki kann es nicht glauben und schimpft auf den Busfahrer. Schließlich hat sie ja eine Pension und die Busfahrer wissen, dass hier öfter Reisende warten. Wenn ich sie richtig verstanden habe, will sie ihm morgen früh den Marsch blasen. ( Ich stelle mir vor, wie sie sich am nächsten Morgen mit grimmigem Blick mitten auf der Straße aufgebaut hat, um den Bus zu stoppen und dem Fahrer die Leviten zu lesen).

    Nun gut, weg ist weg. Es gibt jetzt 2 Möglichkeiten, die Níkis Tochter mir aufzeigt:

    1. In einer knappen Stunde kommt auf der Parallelstraße der Bus nach Heráklion, und von da fährt regelmäßig der Bus nach Réthimnon.
    2. Autostop am Ortsausgang (was auch mein erster Gedanke war)

    Ich will drüber nachdenken, verabschiede mich nochmal, den pirási (macht nix), und gehe erst mal über den Meintaní-Platz gegenüber auf die Parallelstraße, wo auch gleich die Bushaltestelle ist. Hier setze ich mich erstmal auf die Bank. Mit dem Gedanken, wieder in die gleiche Richtung zu fahren, aus der ich bei meiner Ankunft gekommen bin, kann ich mich beim besten Willen nicht anfreunden. Wiederholungen haben immer einen faden Beigeschmack. Außerdem hatte ich mich auf die Fahrt durch die Landschaft über Pérama nach Réthimnon gefreut. Die Strecke und Gegend kenne ich noch nicht. Von Heraklion aus würde ich nur über die New Road fahren, die ich zu Genüge kenne und die nur gut dazu ist, zügig von A nach B zu kommen.

    Es ist noch früh am Tag und ich habe Zeit satt. Und Morgenstund hat ja bekanntlich Gold im Mund. Also schnall' ich alles wieder auf und gehe gemütlich die Straße abwärts Richtung Ortsausgang zum Trampen. An der Schnittstelle von Haupt- und Umgehungsstraße stelle ich mich erstmal hin, um eine zu rauchen. Hinter mir auf dem Hof eines neuen Hauses beobachtet mich mal wieder nervös ein angeleinter Hundehüttenhund, ohne einen Ton von sich zu geben, was mir jetzt auch sehr lieb ist. Die Sonne ist schon verdammt heiß und ich stehe mitten drin. Eine Zigarettenlänge halte ich es aus, dann gehe ich die steile, kurvige Straße runter bis zum unteren Ortsausgang, wo sich beide Straßen von Ober - und Unterdorf ortsauswärts Richtung Zonianá/Áxos treffen. Hier hoffe ich auf zusätzliche Autos aus dem Unterdorf und stehe im Schatten unter Bäumen. Die wenigen Autos, die kommen, fahren vorbei. Nach vielleicht 25 Minuten kommt ein kleiner, schmutziger und verbeulter Pickup mit Baumaterial und hält an. Der Fahrer sagt mir, dass er mich bis zum Abzweig nach Zonianá mitnehmen könne. Ich nehme das gerne an, da natürlich jeder Kreuzungspunkt die Menge an Leuten, die in meine Richtung fahren, erhöht. Er wischt mit einem Armzug erst mal einen Haufen Krimskrams vom Beifahrersitz in den Fußraum, ich werfe meine Säcke auf die Ladefläche und steige ein. Der drahtige Mann, braun gebrannt, aber nicht mit dem typisch dunklen Aussehen eines Kreters, eher nordgriechisch, beginnt die übliche Konversation, woher ich komme und was ich so mache, und sagt, dass er aus „Servia“ komme. Ich entgegne, dass ich meine, diesen Ortsnamen kurz vor Anógia gelesen zu haben. Er lacht und sagt nochmal: No, from Servia! Jetzt hab' ich es geschnallt: Er kommt aus Serbien, ist Serbe und lebt als Bauunternehmer schon einige Zeit auf Kreta. Er fährt nach Zonianá, wo man ihn mit dem Bau eines neuen (Fußball-)Stadions beauftragt hat. Ich staune, denn die Sportanlage, die ich auf meinem Spaziergang durch Zonianá in der Ferne gesehen hatte, machte für ein Dorf dieser Größe und überhaupt für kretische Verhältnisse schon einen recht stattlichen Eindruck (übrigens ebenso in Anógia).
    Tja, in Zonianá hätte man einfach zuviel Geld, was verbuddelt werden müsse, sagt er grinsend. Ich kapiere und sage: Ja, ja, alles Mafia! Drugs and much peng, peng, peng! Und wir lachen uns beide kaputt. Leider dauert die Fahrt nur wenige Minuten bis er mich am Ortseingang von Áxos wieder rauslässt. Ein ungeheuer symphatischer Mensch, der mir beste Laune für den Tag verschafft hat.

    Ich stehe nicht lange hier, da kommt schon ein Kleinwagen um die Kurve aus Richtung Anógia und hält an. Der Mann fährt bis Pérama, was schon wieder ein gutes Stück Wegstrecke ist. Das Gepäck kommt auf den Rücksitz, ich steige ein. Der Fahrer, rundlich und klein mit Brille, Typ kretischer Versicherungsvertreter, macht einen etwas gestressten und gehetzten Eindruck. Die ersten Kilometer achte ich mehr auf die Straße als auf die Landschaft, da er den totalen Bleifuß fährt. Ich muss erst mal rauskriegen, ob er nur schnell, aber sicher fährt, oder verantwortungslos und lebensmüde. Ich habe aufgrund mehrerer Unfälle als Mitfahrer nämlich eine Art Beifahrerneurose und bekomme Angst, wenn ich merke, dass jemand unsicher fährt. Er fährt aber gut, bremst an den richtigen Stellen ab, und ich kann mich etwas entspannen. Er kennt die Strecke offensichtlich wie seine Westentasche. In dieser stecken seine Zigaretten und er ist Kettenraucher. Auf der vielleicht 30 Minuten langen Fahrt steckt er sich die eine mit der der anderen an und hustet sich gleichzeitig ununterbrochen die Lunge aus dem Hals. Ohne offenes Fenster würden wir längst in dichtem Nebel, vermischt mit Bronchialauswurf, sitzen. Eine Zigarette, die er mir anbietet, rauche ich aber aus Solidarität mit.
    Außer dem üblichen Small-Talk kommt keine längere Unterhaltung zustande, weil er vor lauter Husten auch immer wieder im Ansatz stecken bleibt. Wir fahren also über Garázo und Mourtzaná Richtung Pérama. Die Landschaft ist hier sehr grün und durch viel Gemüse und Obstanbau geprägt. Immer wieder überholen wir Traktoren, kleine LKW, Pickups, die irgendwelche landwirtschaftlichen Erzeugnisse transportieren.
    Mein Fahrer nutzt jede kleinste Abkürzung, so biegt er z.B. plötzlich von der Hauptstraße rechts in einen kleinen Ort ab, der in einer Senke liegt, zwängt sich hier, unter kurzer Zurücknahme der Geschwindigkeit, durch engste Gassen, um dann ortsauswärts wieder mit Vollgas auf die Hauptstraße zu preschen. Ich schätze, dass wir damit bestimmt 15 Sekunden gewonnen haben! Autofahren scheint ihm sichtlich Spaß zu machen.
    Am Ortseingang Pérama schmeißt er mich raus und weist mich auf den Abzweig rechts nach Pánormo hin. Cooler Gig. Die letzten 30 km habe ich in Rekordzeit hinter mich gebracht und mache jetzt erst mal ein Kaffeepäuschen. Ich sehe in ca. 30 Meter auf der rechten Seite der Einfallstraße nach Pérama eine Cafeteria mit Außenbestuhlung im Schatten unter einer Markise. Ein älterer Mann mit Hut sitzt auf der Terrasse und liest Zeitung. Ich grüße, stelle mein Gepäck an einen Tisch und gehe rein. Bei einer freundlichen jungen Frau, die gerade sauber macht, bestelle ich meinen Nescafé schwarz mit Zucker, den sie mir mit einem Glas Wasser raus bringt. Mit dem Rücken an die Wand gelehnt beobachte ich das morgendliche Geschehen auf der Straße, reger Arbeitsverkehr und gegenüber eine Tirokomeío (Käserei), wo die Arbeiter draußen auf dem Gehsteig mit Wasserschläuchen Bottiche ausspülen. Unmengen Wasser fließen die Straße runter und kühlen gleichzeitig die Umgebung ab.
    Nach einer halben Stunde mache ich mich wieder auf zum Abzweig Richtung Pánormo, bleibe hier aber nicht lange stehen, sondern gehe gemütlich die Umgehungsstraße runter zum Ortsausgang von Pérama, da ich mir dort einen besseren Standort zum Autostop erhoffe. Viele Lkw passieren, ich komme an einer Zementfabrik vorbei und gelange schließlich zu einer größeren Kreuzung (oder Kreisverkehr), wo sich der Verkehr ortsauswärts sammelt.
    Hier ist viel Gewerbe angesiedelt und ich sehe von weitem den Hauptort von Pérama, schön eingetaucht in der rötlich-gelben Morgensonne, am Fuß der hügligen Landschaft liegen.
    Das wäre jetzt wieder ein Erinnerungsfoto wert. Aber das Fotografieren fällt mir bei der spontanen Wahrnehmung einer schönen Situation immer schwer, bzw. ich denke überhaupt nicht dran. Die (Wieder-)Aufnahme des Eindrucks mit technischen Mitteln ( heißt Handy oder Kamera rauskramen, richtige Einstellung vornehmen etc.) macht den ersten und einzig wahren Eindruck wieder ein Stück kaputt. Und mit Sicherheit schiebt sich in diesem Moment eine Wolke vor die Sonne oder sonst was.
    Was Anderes ist es natürlich, wenn man (semi-) professionell unterwegs ist, die Kamera immer im Anschlag, um den richtigen Moment zu erwischen.
    Als Erinnerungsstütze zum Schreiben eines Reiseberichts, wäre es sicher von Vorteil. Aber glücklicherweise habe ich noch freien Speicherplatz im Kopf.


    Auf dem langgezogenen, staubigen Seitenstreifen stelle ich mich hin und halte den Daumen raus. Plötzlich kriege ich eine SMS und sehe, dass ein Kunde von mir in Deutschland eine, seiner Auffassung nach, dringende Info braucht. Er weiß genau, dass ich eigentlich nicht erreichbar bin und auch nicht sein möchte. Ich ärgere mich darüber, beschließe aber, kurz zu antworten und gleichzeitig deutlich zu machen, dass ich bis auf Weiteres nicht mehr ansprechbar bin. Wenn ich es nicht sofort tue, schleppe ich es nur mit mir rum. In der Zwischenzeit hatte sich einige Meter hinter mir eine junge, schwarzhaarige Frau mit schlanker Figur, gewagt kurzem und engem Minirock und halbhohen Wildlederstiefeln mit Fransen ebenfalls zum Trampen an die Straße gestellt, mit dem Rücken zu mir gewandt. Ich kämpfe noch mit meiner SMS-Antwort, weil ich in der Sonne auf dem Display kaum was erkennen kann, da hält ein kleiner Zweitürer bei der Dame an. Sie will schon einsteigen, da sehe ich, dass die Frau am Steuer in meine Richtung gestikulierend fragt, was denn mit mir sei. Die Tramperin winkt mich her, und als ich auf sie zukomme, sehe ich ihr vernarbtes Gesicht, und aus ihrem Mund strahlen mich nur noch 2-3 Zähne an. Ein herber Kontrast zum durchaus attraktiven ersten Eindruck, aber nett.
    Ich zwänge mich mit meinem Gepäck auf den Rücksitz, die Zahnlose steigt vorne ein. Die freundliche, hellhaarige Griechin, (ca. 35 J.), am Steuer kann mich bis Pánormo mitnehmen. Von da aus könnte ich gut den Bus nach Réthimnon nehmen. Sie scheint Lehrerin zu sein, merkt ziemlich schnell, dass ich Deutscher bin, und spricht plötzlich in einem ziemlich guten Deutsch mit mir. Sie hätte früher mal Deutsch unterrichtet, aber soooviel vergessen. Ich entgegne, dass ich froh wäre, wenn ich so gut Griechisch wie sie Deutsch sprechen könnte.
    In Pánormo angekommen, setzt sie mich direkt an der Bushaltestelle ab. Die zahnlose Griechin steigt aus, aber nur, um mich rauszulassen, da sie noch weiter mitfährt. Beim Aussteigen und Rauskramen meiner Rucksäcke hat sich eine der unzähligen Riemenschnallen von meinem Zenit gelöst und ist auf die Straße gefallen. Ich hatte es nicht bemerkt. Meine nette Mit-Tramperin hebt sie auf und gibt sie mir. Evkaristó pára poli kai sto kaló!
    An dem Wartehäuschen stehend, sehe ich gegenüber nur ca. 200 Meter entfernt das tiefblaue Meer hinter dem etwas höher gelegenen Küstenstreifen rausschauen. Eigentlich weiß ich jetzt überhaupt nicht, wo ich bin. Ich wollte zunächst nur von Anógia Richtung Westen nach Réthimnon und hatte mir nur oberflächlich die Karte angeschaut. Ich war davon ausgegangen, dass es jetzt die ganze Wegstrecke über die „Old Road“ nach Réthimnon ginge. Der Hardcore-Raucher und Hobby-Rennfahrer hatte mir in Pérama die wohl schnellste Verbindung gezeigt, zunächst Richtung Norden nach Pánormo und von dort wieder die Küste entlang über die New Road nach Réthimnon. Ich bin jetzt also wieder am Meer. Jetzt müßte ich mir eigentlich noch Pánormo anschauen, habe mir aber fest vorgenommen, heute noch in den Süden ans Libysche Meer nach Chóra Sfakíon zu kommen, um dort noch in Ruhe nach einer Unterkunft für ca. 1 Woche suchen zu können und dann von da aus einige Wanderungen zu unternehmen. Bisher lief alles wie geschmiert, ich bin unglaublich gut vorangekommen, aber bis in die Sfákia ist noch ein weiter Weg.
    Nach ca. 10 Minuten kommt der Bus, er hält erst mal mitten auf der Verkehrsinsel und macht den Motor aus. Die zwei mit mir wartenden Leute und ich machen uns schon auf den Weg zum Bus, da zeigt uns der Fahrer die flache Hand. Soll wohl heißen: Stopp! Ich mach jetzt erstmal Pause. Ok, wir warten. Nach weiteren 5 Minuten läßt er den Motor wieder an und fährt vor. Gepäck wieder in die seitliche Klappe und vorne beim Fahrer einsteigen und bezahlen. Wir kommen nach einigen hundert Metern auf die New Road, die Umgebung wird jetzt immer flacher, links in der Ferne die Berge und rechts das Meer. Alle paar Minuten nehmen wir an Haltestellen Fahrgäste auf, meist Touristen, die wohl in den vielen Hotels ihren Pauschalurlaub verbringen und zum Shoppen etc. nach Réthimnon fahren. Zwischen der Hotelbebauung kann man immer wieder den breiten, langen Strand mit den unzähligen, aufgereiten Sonnenschirmen und Liegen erkennen. Viele Hotels und Gästehäuser liegen auch südlich der vielbefahrenen Schnellstraße, die die Urlauber immer überqueren müssen, um an den Strand zu kommen. Mir persönlich gefällt es hier nicht besonders, aber ich denke, wenn man z.B. als Kind mit seinen Eltern regelmäßig hier gewesen ist, Freunde gefunden und unbekümmerte Ferien verbracht hat, dann ist es auch wie ein „Nachhause kommen“ und man sieht es mit anderen Augen.
    Der Bus wird immer voller und wir fahren durch immer dichter werdende Bebauung mit viel Verkehr in die Stadt.
    Ich erinnere mich, dass ich vor vielleicht 25 Jahren mit meiner Freundin von Heráklion aus schonmal mit dem Bus nach Réthimnon gefahren war, um hier in den Bus nach Plakiás im Süden umzusteigen. Die Busstation befand sich rechts an einer Straße die durchs Zentrum führte und es herrschte das übliche konstruktive Chaos.
    Ich fahre bis zur Endstation am westlichen Ende der Stadt, wo sich auf einem größeren Platz der Bus-Bahnhof befindet. Durch eine Straße an der Kaimauer entlang getrennt, liegt er jetzt direkt am Meer. Hier steige ich aus.
    Geändert von belgofritz (6.July.2017 um 18:22 Uhr)

  13. #93
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    Gut, daß Du noch "freien Speicherplatz" im Kopf hast :)

    Freue mich auf die Fortsetzung ,
    Gruss Sabine
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  14. #94
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    Hallo Herr Nachbar, ich lese auch immer noch mit, obwohl man durch die langen Pausen vergisst, wo Du zuletzt gewesen bist. Aber, das kann man ja nachlesen.

    Zum Glück hast Du wohl ein sehr gutes Gedächtnis, dass Du diese ganzen Kleinigkeiten nach fast einem Jahr noch parat hast. Das könnte ich nicht.

    Ich freue mich schon auf die Sfakia, wo wir auch einige Jahre im Winter untergekommen sind.

    vg krassi

  15. #95
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    In einem kleinen Holzhäuschen vor der Busstation befindet sich die Information und ich frage die Frau, wann und wie ich nach Chóra Sfakíon komme. Sehr freundlich erklärt sie mir, dass ich um 13.00 Uhr den Bus nach Vrísses nehmen und dort umsteigen müsse. Ich kaufe das Ticket und habe noch ca. 1 ½ Stunden Zeit.
    Am Kiosk in der Busstation besorge ich mir erst mal wieder ein Spanakópita, einen Kaffee, eine Cola, ein Wasser und noch 2 Päckchen Karélia-Filter, um meinen Tabakvorrat zu strecken. Ich habe 10 Päckchen Half-Zware-Shag à 50 Gramm (Belgien) für die gesamte Reise dabei, die ich auf die vielen Seitentaschen meines Zenit verteilt habe. Auf meinen letzten 2-4 Wochen-Urlauben auf Kreta hatte ich immer zu wenig mitgenommen und Zigarettentabak ist in Griechenland sehr teuer. Und bei Anderen zu schnorren, ist auch nicht so angenehm, da sie ja das gleiche Problem haben. Dazu kommt, dass es meist nur 20 Gramm-Päckchen zu kaufen gibt und gefühlt mehr Verpackung als Tabak. Die griechischen Zigaretten, wie z.B. Karélia mit oder ohne Filter, kann man durchaus rauchen, aber für jemanden, der quasi von Geburt an Selbstdreher ist, kommt der Genuss nicht an die „Naturware“ ran.

    Ich gehe zunächst mal über die Straße zur Ufermauer, setze mich da drauf und frühstücke mit Blick auf´s Meer und über die Bucht von Réthimnon. Nach einer 1/2 Stunde muss ich raus aus der Sonne und gehe wieder zur überdachten Terrasse an der Busstation. Hier ist Einiges los und ich frage einen Griechen, der an einem 2er Tisch, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, das Geschehen (vor allem die Touristinnen) betrachtet, ob ich mich zu ihm setzen dürfe. Natürlich kein Problem. Nach 5 Minuten kommt ein gebrechlicher, alter Mann mit Gehstock an, und mein Tischnachbar lädt ihn ein, sich zu uns zu setzen. Die beiden kennen sich wohl gut. So langsam geht es auf 13.00 Uhr zu und ich fange an, auf die Lautsprecherdurchsagen zu achten, die, wie immer, ziemlich unverständlich sind. Auf Griechisch und Englisch werden die Ziele und Busnummern durchgesagt. Mein Tischnachbar fragt, wohin ich denn wolle, und als ich „Vrísses“ sage, schaltet sich der alte Mann hilfsbereit ein. Er greift sich das Faltblatt mit den Abfahrtzeiten, welches vor mir auf dem Tisch liegt, und sucht mit fachmännischem Blick nach meiner Busverbindung. Der jüngere Mann weist mich kurz darauf hin, dass sein Bekannter früher Busfahrer gewesen und nun in Rente sei. Wahrscheinlich kann er nicht loslassen und muss täglich an alter Wirkungsstätte vorbeischauen.
    Ich sehe, dass er mit ernster und konzentrierter Miene auf das Faltblatt schaut. Plötzlich fragt er laut in meine Richtung: Plakiás!? Der andere Mann und ich berichtigen ihn und sagen: Ochi! Vrísses!.
    Wieder schaut er professionell auf den Plan. Nach einer Minute ruft er wieder: Plakiás?!
    Der andere Mann und ich schauen uns an und können uns das Lachen wegen der Situationskomik einfach nicht verkneifen. Der gute Mann hat wohl in seinem Busfahrerleben immer die Strecke nach Plakiás bedient und scheint einfach nicht mehr davon loszukommen. So traurig beginnende Demenz auch ist, so kann sie auch so unfreiwillig lustige Situationen erzeugen.
    Dann verabschiede ich mich bei den beiden, weil ich meine, bei den Durchsagen das Wort „Vrísses“ identifiziert zu haben. Ich begebe mich langsam auf den von Bussen und (Rucksack)- Touristen wimmelnden Platz und finde auch meine Busnummer. Ein junges Paar, das auch mit Rucksack unterwegs ist und mir auf der Terrasse schon aufgefallen ist, verstaut gerade sein Gepäck im Laderaum.

    Den beiden begegne ich in den nächsten Tagen öfter, und das junge, blonde Mädchen, maximal 20, wird mich auch ein paar Mal freundlich grüßen, da wir nunmal auf gleichen Pfaden unterwegs sind und dann kann man sich ja ruhig mal grüßen. Ihr Partner, der bestimmt 10-15 Jahre älter ist und der Physiognomie nach schon Einiges hinter sich zu haben scheint, schaut dann jedesmal entweder total unsicher oder grimmig weg. So, als hätte er was zu verbergen. Ich denke nur: Junge, dass deine Braut nur halb so alt ist wie du, ist mir sowas von egal, aber ein bisschen lockerer könntest du schon sein.

    Wir steigen ein und der Bus füllt sich langsam. Über die New Road fahren wir zunächst immer am Meer entlang Richtung Westen. In Giorgióupolis, was wir uns vor 2 Jahren auf der Fahrt vom Flughafen Chaniá nach Lentas schonmal angeschaut hatten und ein ganz netter Ort zu sein scheint, geht es über einen Abzweig nach Vrísses. Es liegt ungefähr auf halber Strecke zwischen Réthimnon und Chaniá wenige Kilometer im Landesinneren. Im Ortszentrum steigen wir wieder an einem typischen Bushalte-Kafeníon aus: „O Stathmos“. Wunderbar! Wieder der absolute Dreh-und Angelpunkt des Ortes. Ich stelle mein Gepäck an einen Tisch auf der Terrasse und hole mir an der langen Theke im Lokal ein schönes, kaltes Bier. Es dauert mindestens noch eine gute Stunde bis der Bus nach Sfakiá kommt. Solange will ich hier nicht sitzen bleiben und beschließe nach einer Viertelstunde, etwas durch den Ort zu laufen. In der hintersten Ecke des Kafeníons kann ich meinen Zenit deponieren, was die Kellnerin mir auf meine Frage hin auch wohlwollend bestätigt. Ich vertraue darauf, dass hier nichts wegkommt, und mache mich zu meinem Spaziergang auf.

    Durch Vrisses bin ich früher schon einige Male durchgefahren, vor über 25 Jahren das erste Mal aus Richtung Süden kommend mit dem Motorrad. In Plakiás hatte ich mir eine 250er Yamaha-Enduro gemietet und habe von dort aus einige Touren unternommen. An der Küste entlang über Frangokástello, Chóra Sfakíon, über die Berge nach Norden bis Vrísses, ein Stück die Küste entlang Richtung Réthimnon und über Nebenstraßen und viele kleine Abstecher wieder durch die Berge gen Süden nach Plakiás.
    Den Führerschein Kl. 1 hatte ich mit 18 mit dem PKW-Führerschein gleich mitgemacht, in der Erwartung, dass ich mir mal ein Motorrad zulegen würde. Bis dahin war ich immer Mofa und frisiertes Moped mit kleinem Nummernschild gefahren. Ein eigenes Motorrad habe ich aber fortan nie besessen, sondern immer nur schonmal von Freunden ausgeliehen oder eins gemietet. Verlernen tut man das Motorradfahren eigentlich nie, wie das Fahrradfahren, aber man sollte schon sehr vorsichtig fahren, gerade auf Kreta. Damals waren die Straßen noch schlechter, und die plötzlich auftretenden Schlaglöcher, Schotterpisten-Abschnitte und das Geröll vom Steinschlag waren nicht ohne. Und Helmpflicht gab es (zum Glück) nicht. Ich hatte einige Male einen guten Schutzengel bei mir, und es ist glücklicherweise nie was Schlimmeres passiert. Ich kann heute jedenfalls behaupten, dass diese Touren mich in Gefühlszustände versetzt haben, die ich bis Dato nur in zwischenmenschlich, erotischer Hinsicht kannte. Die atemberaubenden Panoramablicke über das Libysche Meer und die intensiven Gerüche in der Bergwelt mit ihren fruchtbaren Tälern, das Alles auf durchgerütteltem Sattel, sind wahrscheinlich Schuld daran, dass ich mich damals schon in Kreta verschossen habe. Und mit Helm wäre das womöglich nicht passiert, denn ohne ist es einfach geiler.
    Heute gibt es zwar die Helmpflicht auf Kreta, aber es scheint niemanden zu interessieren, ob man mit oder ohne fährt, auch nicht die Polizei. Ich denke aber, dass man im Falle eines Unfalls schlechte Karten hat, nicht nur wegen der erhöhten Verletzungsgefahr, sondern auch „versicherungstechnisch“, egal, ob man den Unfall verschuldet hat oder nicht.


    Vrísses (wahrscheinlich von „Vríssi“ Wasserhahn) war mir von den Durchfahrten her schon immer positiv aufgefallen, weil es sehr grün ist. Am Ortseingang, aus Richtung Süden kommend, überquert man den noch nicht ganz ausgetrockneten Dorfbach Voutakás, dem die alten, großen Platanen und sonstiges, üppiges Grün ihre Existenz verdanken. Nur ca. hundert Meter von der Busstation entfernt, komme ich hier an und schaue mich ein wenig um. Man hat sich schon Mühe gegeben, die grüne Oase zu einem Besucherzentrum zu gestalten. Es ist ganz schön angelegt mit kleineren Holzbrücken und einige Wasservögel tummeln sich hier. Das Ganze erinnert mich ein wenig an ein typisches Wochenend-Ausflugsziel in der Eifel. Allerdings sieht man auch ziemlich versiffte, kloakenartige Pfützen mit Unrat, was widerrum typisch für Kreta ist.
    Ringsum liegen Tavernen mit schönen Außenterrassen unter den Schatten spendenden Bäumen. Zu dieser Tageszeit ist es aber nix los. An einer Taverne sehe ich wieder Schaf oder Ziege oder Beides auf dem Flammengrill brutzeln und werde von einem freundlichen jungen Mann aufgefordert, Platz zu nehmen. Als ich ihm sage, dass ich aus Anógia käme und dort auf einer Hochzeit war, weiß er direkt Bescheid und versteht, dass ich beim Anblick dieser kulinarischen Köstlichkeit jetzt nicht unbedingt schwach werden muss.

    Langsam bewege ich mich wieder Richtung Kafeníon. Das erwähnte, ungleiche Päärchen sitzt auf der Terrasse und spielt Karten. Ich stelle fest, dass ich kein Kleingeld mehr habe. Das Bier hatte ich noch nicht bezahlt und müßte das jetzt mit einem 100 €-Schein erledigen. Ich bestelle mir noch eins, damit es nicht gerade so krass ist. Die Kellnerin ruft beim Bezahlen den „Mann für alle Fälle“ her, der hier offensichtlich alles koordiniert und im Griff hat. Er palavert mit den Busfahrern, hat alle Infos für die Touris parat und hat wohl auch die Procura über die Kasse. Die Kellnerin gibt ihm meinen 100 €-Schein und er macht erst mal seine Zirkusnummer, indem er ihn demonstrativ ins Licht hält und durchknetet und dann: Oh, its all Mafia! Und ich bestätige: Sure man, I' m coming from Zonianá! Wir lachen beide und er gibt mir das Wechselgeld. Lustiger Typ und wie geschaffen für den Job.

    Der Bus kommt und alles steigt ein. Die Fahrstrecke in die Sfakiá ist landschaftlich für mich eine der schönsten Nord-Süd Verbindungen, die ich bisher gefahren bin. Sie ist auch eine der Kürzestens an dieser Stelle Kretas und misst nur ca. 40 km Fahrstrecke.

    Die grobe Orientierung ist auf Kreta relativ einfach, dank der schmalen, langezogenen und fast waagerechten Lage der Insel im Mittelmeer. Wer mit den Himmelsrichtungen Probleme hat, der kann sich auch an oben und unten, und rechts und links orientieren. Die Insel ist geografisch auf den ersten Blick ziemlich klar gegliedert. Die Hauptstadt Heráklion mit dem Hauptflughafen liegt oben ungefähr in der Mitte. Von Norden (also oben) aus kommend geht’s dann zunächst entweder nach rechts, links oder geradeaus. Die 3 großen Gebirgsmassive sind mit den jeweils bis zu 2.500 m hohen Gipfeln ziemlich gleichmäßig verteilt: In der Mitte das Psiloritis Gebirge mit dem Tímios Stavrós (der Höchste der 3 Gipfel) rechts im Westen die Lefká Óri (die weißen Berge) mit dem Páchnes, und links im Osten das Dikti Massiv mit dem Díkti. Mit Verlaub könnte man Kreta auch die 3-tittige-Insel nennen.
    Die horizontale Ausdehnung von Kreta beträgt Luftlinie maximal ca. 260 km und die vertikale maximal nur ca. 60 km, an der schmalsten Stelle sogar nur 15 km.. Eigentlich ein Katzensprung von Nord nach Süd, aber was sich dazwischen auftut, ist ur-gewaltig und auf diese Art wohl einzigartig. Kein Wunder, dass die Kreter von ihrem eigenen Kontinent sprechen, denn die Entfernung zum griechischen Festland im Norden und im Süden zu Nordafrika ist schon beträchtlich. Und mitten im Mittelmeer geht’s dann mal eben 2,5 km vertikal nach oben, mit unzähligen gewaltigen Schluchten. Hier muss wirklich was los gewesen sein bei der Erdentwicklung. Kurz gesagt hat das Ganze dazu geführt, dass man sich auf Kreta niemals vornehmen sollte, insbesondere in abgelegeneren Gegenden, mal für einen halben oder auch ganzen Tag eine Erkundungstour mit mehreren Zielen zu machen, sei es zufuß oder motorisiert. Man ist immer mindestens doppelt solange unterwegs als man denkt und hat am Ende nicht wirklich was gesehen. Also besser ein bestimmtes Ziel und sich dieses entspannt anschauen. Leichter gesagt als getan, ich werde wohl auch beim hundertsten Mal auf Kreta noch den Fehler machen, mir möglichst viel anzusehen, wenn ich z.B. ein Mietauto habe, und bin am Ende vor lauter Serpentinen- und Schotterstraßenkurverei vollkommen geschafft (und meine Begleitung umso mehr).
    Nur ein Beispiel: Vor 3 Jahren das erste Mal in Soúgia im Süd-Westen (für eine Woche, um dann später noch für 3 Wochen nach Lentas überzusiedeln, nach über 30 Jahren der längste Urlaub, 4 Wochen!) Der Plan war, für einen Tag von Soúgia aus mit dem Mietwagen über Paleochóra nach Elafoníssi und zurück. Zwischendurch noch die ein oder andere Sehenswürdigkeit auf der Strecke mitnehmen. Von der Karte und der Entfernung her ein durchaus überschaubares Unternehmen. Auf dem Hinweg ein Frühstück an der Promenade von Paleochóra und dann weiter nach Elafoníssi an die bekannten, unter Naturschutz stehenden, südsee-ähnlichen Strände. Auf dem Rückweg kann man sich ja dann Paleochóra, insbesondere das alte Hafenviertel, noch genauer anschauen und noch schön was essen gehen. Denkste!
    Obwohl wir in Elafoníssi beim Anblick völkerwanderungsähnlicher Besucherströme und Massen von Reisebussen sofort wieder kehrt gemacht hatten, haben wir es so gerade bei Einbruch der Dunkelheit zurück nach Soúgia geschafft. Den erneuten Besuch von Paleochóra auf dem Rückweg hatten wir uns sodann gespart, weil wir durch Umleitungen und schlechte Beschilderung auf Schotterwegen gelandet waren, die teilweise im Niemandsland endeten, und dann auch noch einige Male im Kreis gefahren waren, was unglaublich viel Zeit in Anspruch genommen hat. Wenn ich alleine bin, verfahre ich mich eigentlich immer ganz gerne im Urlaub, da man so an Stellen kommt, die man sonst nicht gesehen hätte. Aber Mitfahrern ist es kaum zuzumuten, da es eher eine Quälerei ist, wenn man nicht selber am Steuer sitzt.
    Das Fazit war jedenfalls einmal mehr, dass wir uns besser nur einen schönen Tag in Paleochóra gemacht und auf Elafoníssi verzichtet hätten. Aber im Nachhinein ist man ja immer schlauer.


    Zurück zur Bustour:
    Von Vrísses geht es durch herrliche Landschaften am Rande der Lefká Óri über die Askífou-Hochebene nach Chóra Sfakíon. Der Westen Kretas ist besonders um die Region Chaniá relativ grün und teilweise stark bewaldet. Auch Nadelbaumbestand, der ein wenig an das Alpen-Vorland oder deutsches Mittelgebirge erinnert.
    Auf der ca. einstündigen Busfahrt in den Süden lasse ich links und rechts wieder etliche, im „Fohrer“ beschriebene Orte liegen, die bestimmt einen Abstecher wert wären. Aber das Libysche Meer zieht mich an wie ein Magnet, und so fahre ich durch. Das letzte Stück hinter der Askífou-Hochebene führt entlang der Imbrós-Schlucht über unendliche Serpentinen runter nach Sfakiá, wie der Ort und die ganze Umgebung auch verkürzt genannt werden. Ich erinnere mich wieder an meine damaligen Motorradtouren und bin hingerissen von den fanatastischen Ausblicken auf das Meer und die weite Küstenebene um Frangokástello. Und alles liegt in einem unvergleichlich schönen Licht, für mein Empfinden anders als im Norden der Insel.
    Die Straße ist mittlerweile richtig gut ausgebaut und dem starken Reise(-bus) verkehr angepasst. In Chóra Sfakíon steige ich auf dem kleinen Umschlagplatz etwas oberhalb des Dorfes aus. Ich nehme mein Gepäck und mache mich auf zur Zimmersuche.
    „ Room, you want room?“- rufende Zimmeranbieter gibt’s auch hier nicht mehr. Aber es ist ja auch noch Hochsaison. Im Ort mache ich später das erste „Selfie“ meines Lebens mit dem glücklichen Gesichtsausdruck, endlich wieder am Libyschen Meer zu sein.
    Geändert von belgofritz (2.December.2017 um 12:29 Uhr)

  16. #96
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    jasou belgofritz, mal wieder toll geschrieben mit einer guten Potion Humor. Musste einige male lachen.

    Ja, das Libysche Meer zieht einen wie ein Magnet an.

    Bin schon gespannt wie es weiter geht.....

    vg, kv

  17. #97
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    Unglaublich Dein Erinnerungsvermögen nach einem Jahr! Ich bin gespannt, wie es Dir in Sfakia ergeht.
    Inke


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  18. #98
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    Grandios und absolut Informativ. Ich muss auch einmal auf Kreta Urlaub machen!
    Vielen Dank für deinen Bericht,
    Angelika und Tom

  19. #99
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    Das läßt sich wieder sooo schön lesen und Erinnerungen hochkommen.
    Danke dafür, Belgofritz
    LG Dorad

  20. #100
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    Vielen Dank für hoffentlich eine never ending story :) Im September fahren wir auch mit dem Bus ab Iraklio über Vrisses nach Chora Sfakion , ich bin gespannt .
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  21. #101
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    Oh ja, das ist schon ein kleines Abenteuer, habe ich vor einigen Jahren auch mal gemacht.
    In Irakleio weg so gegen 9.30 Uhr, in Frangokastello an gegen 17.00 Uhr, aber Klasse wars.

    Schönen Gruß hermann
    Ist noch λ ? Ja, aber das φ ist noch ρ !

    Alle Infos über Frangokastello:http://www.Frangokastello-und-Meehr.de
    Unser aktueller Reiseblog:http://www.HerrMANaufReisen.wordpress.com

  22. #102
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    Ich versuche, meinen Bericht jetzt etwas zu straffen und bald zum Ende zu kommen, da ich in 1 Woche wieder auf Kreta bin (für 3 Wochen) und dann bestimmt keine Lust mehr habe, über das vergangene Jahr zu schreiben. Durch meine Echtzeit-Schilderung habe ich mich doch ziemlich im Detail verloren und kann es selber kaum glauben, dass ich gerade mal erst seit einer Woche unterwegs war. Wenn ich diesen Schreib-Rhythmus also beibehalten würde, dann bräuchte ich hochgerechnet noch einige Jahre, um fertig zu werden. Das Problem ist, dass ich jedes Mal, wenn ich Zeit und Lust habe, weiterzuschreiben, mindestens eine halbe bis ganze Stunde brauche, um anzufangen und einzutauchen. Wenn ich dann wirklich drin bin, läuft der Film in der Tat fast in Echtzeit ab und ich muss zusehen, dass ich mich nicht verzettele. Und das Aufhören fällt dann umso schwerer.

    Ankunft in Chóra Sfakíon

    Beim Entladen des Gepäcks aus der Seitenklappe des Busses lasse ich einem einheimischen Mann den Vortritt, der ein riesiges, grob verschnürtes Paket aus der Ladefläche rauszieht. Die Busse fungieren wohl auch als Paketzustelldienst für die abgelegeneren Orte. (Ich diesem Moment weiß ich noch nicht, dass genau dieser Mann ganz zufällig mein Vermieter für die ganze Woche sein wird).

    Von früheren Kurzbesuchen habe ich nur die Promenade in Sfakiá in Erinnerung, wo man durch eine Tavernengasse hindurch geht, links die am Ufer gelegenen, überdachten Terrassen, rechts die Tavernen mit den Speisekartenständern und den verlockenden Auslagen in den Vitrinen, aus denen einen so manches, mehr oder weniger, appetitliches Meeresgetier anlacht (für meinen Geschmack eher mehr). Der optische Eindruck von dem Örtchen war jedenfalls damals schon nicht schlecht.
    Den Spießrutenlauf tue ich mir jetzt aber nicht an, weil man an jeder Taverne von den eigens hierzu auserwählten Bediensteten angebaggert wird, um doch bitte Platz zu nehmen. Typisch für alle größeren Orte mit viel Tagestourismus, nicht nur auf Kreta.
    Ich gehe durch die ruhige Parallelgasse durch den Ort, die am Ende wieder leicht ansteigt und komme die auf einen schönen, mit Naturstein gepflasterten Platz mit einer weit ausladenden Platane und Holztischen und -stühlen. Er wird von einem ziemlich gepflegt aussehenden Gästehaus dominiert, ich glaube Stávris, gehe rechts vorbei Richtung Ortsausgang und habe dort wieder Blick aufs Meer. Hier bleibe ich erst mal stehen und mache mein besagtes, erstes Selfie.
    Ich hatte mich schon etwas im „Fohrer“ schlau gemacht, wie es hier mit Unterkünften aussieht. Das „Stavris“ machte einen guten Eindruck, aber vielleicht zu gut, ich denke dann immer: „Nee, das ist zu fein und bestimmt teuer...“ und so einen Blödsinn, weil ich immer noch von den kleinen, alten Privat-Unterkünften träume, wo man die kretische Gastfreundschaft noch immer am meisten genießen kann, und die Oma einem nach dem Aufstehen, wann auch immer, die frischen Feigen oder Honigmelone auf einem kleinen Tellerchen serviert....

    Aber auch die etwas besser aussehenden Häuser bieten durchaus günstige Zimmer an, auch für Alleinreisende. Und da Chóra Sfakíon sich zu einem Tagesausflugsziel entwickelt hat, sind die Häuser auch froh, Ihre Zimmer möglichst erst mal vermietet zu haben. Der Preis-Schnitt liegt, ganz grob gesagt, zwischen 25 u. 50 €, je nach Personenanzahl (und damit Größe), Auslastung und vor allem Aufenthaltsdauer. Die Verhandlungsspanne liegt im Schnitt bei 5-10 €, je nach Symphatie und Geschick, und natürlich daran, ob man überhaupt handeln will. Denn gegen das Preisniveau ist m.E. eigentlich nichts einzuwenden. Und es ist deshalb nicht höher, weil die Pauschalurlaubsangebote den Pensionen und Privatvermietern das Leben schwer machen. Und wenn du richtig rechnest, kostet der Urlaub auf „eigene Faust“, d.h. mit Transfer und sonstigen Mobilitätskosten und Verpflegung, insbesondere täglich Essen gehen etc. genauso viel, wenn nicht mehr (Das, aus der Sicht eines End-Fuffzigers, der sich mal was gönnen will. Es geht natürlich auch viel günstiger, wenn man weniger Ansprüche stellt, oder diese ohnehin schon durch die Natur in jeder Hinsicht befriedigt werden, so wie bei jungen, frisch Verliebten und anderen Nicht-Verdorbenen.

    Die Taverne „The Three Brothers“ liegt am Ende des Ortes oberhalb der Badebucht „Vrissi“ . Ich hatte im Reiseführer gelesen, dass diese schön gelegen sei und auch Apartments vermietet, und gehe dahin. In der Taverne nehme ich Platz und bestelle was. Der Wirt ist der Mann, den ich beim Ankommen am Bus getroffen hatte. Ich frage ihn nach einem Zimmer und er setzt zunächst mal eine ernste und nachdenkliche Mine auf. Nach wenigen Minuten kommt ein junger Mann, ca. Anfang 20 mit hellen Haaren und einem Schlüssel in der Hand und meint, ich solle mitkommen. Wir gehen zu einem Haus ca. 30 Meter hinter der Taverne einige Treppen hoch und er zeigt mir ein sehr sauberes und gut ausgestattetes Zimmer, was mir, angesichts der zuletzt gehabten Unterkunft, schon als Luxus erscheint. Ein Kühlschrank und ein großer Balkon mit Meerblick, nicht frontal, aber nach rechts rüber, und ein geräumiges, neuwertiges Bad mit Dusche. Ich sehe sofort, dass das mein Zimmer sein wird. Mit dem Jungen spreche ich nur wenig, und wenn, dann Griechenglisch. Eine Kocheinrichtung gibt es auch in diesem Zimmer nicht, weshalb ich ihm sage, dass ich nur noch einen Camping-Gas-Kocher benötigte. Er sagt mir, dass ich alles Weitere mit dem Patron besprechen müsse.
    Wir gehen zurück zur Taverne und ich signalisiere dem Chef, dass ich das Zimmer gerne zunächst einmal für 5 Nächte mieten würde, möglicherweise auch noch etwas länger. Die Preisverhandlungen sind relativ schnell erledigt, er sagt 35 €, ich setze mein schmerzverzerrtes Gesicht auf, er sagt 30 € last price, ich sage ok. Mein Sonderwunsch mit dem Gaskocher geht auch klar, da Kaffeekochen nunmal ein Grundbedürfnis ist und für Griechen nur allzu verständlich. Er wird ihn mir besorgen. Ich bekomme den Schlüssel und gehe zurück zu meinem Zimmer, wo ich mich erst mal einrichte.
    Zurück in der Taverne setze ich mich erst mal an einen Tisch mit Blick über die schöne Badebucht, bestelle mir was und lasse die neue Umgebung auf mich wirken. Die Bedingungen sind optimal. Im Urlaub versuche ich immer, möglichst ein Zimmer in dirketer Strandnähe zu bekommen, um morgens nach dem Aufstehen und vor dem Frühstück, zunächst mal nur mit Badehose und Handtuch bekleidet, wenige Meter zum Meer schwimmen gehen zu können. Das ist für mich der pure Luxus, und ich ziehe es jederzeit dem Aufenthalt in irgendeinemeinem Wellness-Tempel vor.

    Nachdem ich meine Unterkunft direkt komplett bezahlt habe, gehe ich zunächst mal wieder aufs Zimmer, da mir eine alte Frau, wahrscheinlich die Mutter von Jannis, dem Tavernenwirt, noch den Gaskocher mit neuer Kartouche und eine große Kaffeetasse mit 2 Löffelchen in die Hände gedrückt hatte. Evkaristó polí!
    Danach gehe ich zu einem kleinen Mini-Market im Ort, um mich mit den wichtigsten Lebensmitteln für Frühstück und Zwischenmahlzeiten einzudecken und spaziere noch was durch den Ort.
    Den Tag lasse ich langsam ausklingen und gehe abends in der Taverne „Nikos“, am Anfang der Promende aus Richtung Hafen kommend, noch was essen. Der Kellner, der auch vor dem Lokal um Kundschaft wirbt, überschlägt sich fast vor Freundlichkeit. Ich bleibe noch lange hier sitzen, trinke noch was und gehe erst, als das Lokal geschlossen wird.
    Ich habe zwischendurch beschlossen, die nächsten Tage im Wechsel von Wellness-Tag am Strand und Wandertag zu verbringen. Morgen gehts' erst mal zum Strand.
    Geändert von belgofritz (16.August.2017 um 09:10 Uhr)

  23. #103
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    Kalispera Kurt, es ist dir gelungen, für deine Verhältnisse hast du den Artikel ganz schön gestrafft.

    Zitat Zitat von belgofritz Beitrag anzeigen
    [I]
    Den Spießrutenlauf tue ich mir jetzt aber nicht an, weil man an jeder Taverne von den eigens hierzu auserwählten Bediensteten angebaggert wird, um doch bitte Platz zu nehmen. Typisch für alle größeren Orte mit viel Tagestourismus, nicht nur auf Kreta.
    oh wie ich das hasse. Gehe grundsätzlich bei diesen Lokalitäten weiter. Deswegen gefällt mir Chora Sfakion auch nicht mehr besonders. Zum Glück sind das aber nur eine handvoll Orte auf der Insel. Es gibt auch größere touristische Orte wie Agia Galin wo man von dieser Unsitte verschont bleibt.

    Mal schauen was du noch so erlebt hast in Chora Sfakion.

    vg, kv

  24. #104
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    Hallo Belgofriz,
    schön, daß du den Reisebericht vor deinem nächsten Urlaub noch schreibst.Er ist wieder so schön zu lesen und ich erkenne alles im Ort wieder-
    Ich hoffe, es gibt noch viele dieser Art, vielleicht auch von deinem nächsten Urlaub.
    LG Dorad

  25. #105
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    1. Strandtag, Vrissi-Bucht

    Ich habe bestens geschlafen und frühstücke zufrieden auf meinem Balkon. Auf meinem Nachbarbalkon sitzt ein ruhiges Paar, ca. 30, auch beim Frühstück. Wir sind durch ein relativ hohes Mäuerchen getrennt, sodass man sich nicht direkt auf der Pelle sitzt.
    Während der nächsten Tage bekomme ich immer wieder Gesprächsfetzen der beiden mit und rätsele angestrengt, welche Sprache sie sprechen. Ich tippe auf was Skandinavisches, was zu den hellhäutigen Leuten auch passen würde, werde es aber bis zum Ende nicht erfahren. Small-talk ergibt sich die nächsten Tage nicht.

    Nach der obligatorischen Morgentoilette gehe ich gegen Mittag zum Strand.
    Ich erwähne die Toilette hier nur deshalb, weil es sich bei diesem WC mal wieder um ein ganz besonderes Exemplar handelt. Griechische Toiletten sind nie „normal“. Die WC's sind immer so montiert, dass man die Klobrille nicht hochklappen kann, ohne dass sie wieder runterfällt, d.h., dass sie senkrecht am Spülkasten stehen bleibt, z.B. zum Saubermachen (natürlich nicht zum Stehpinkeln:-)).
    Auffällig ist auch, dass die Spülung entweder garnicht funktioniert, oder nur mit so wenig Wasser und so schwach, dass man 5 Mal nachspülen muss. Oder sie ist dermaßen übertrieben stark, dass man Angst bekommt, mit abgezogen zu werden. Letzteres ist hier der Fall. Einen solch sturzbachartigen Spüldruck mit Unmengen von Wasser habe ich noch nie gesehen und mit einem Lärm, dass ich jedesmal beim Abziehen befürchte, dass alles auseinanderfliegt und das Apartment geflutet wird.


    Am Strand in der kleinen, von Felsen eingerahmten Bucht, ist noch nicht viel los, und es sind auch hier Sonnenschirme mit Liegen aufgestellt. Ich suche mir wieder ein schönes Plätzchen mit Liege und Schirm und Frontalblick über das Libysche Meer Richtung Afrika. Nach einer Weile kommt ein junges, sehr hübsches Mädchen vorbei und kassiert 4 Euro für das Strandset. Ich wechsle noch ein paar Worte mit ihr, sie ist Studentin aus Bulgarien und verdient sich hier in den Semesterferien etwas Geld mit dem Strandsetverleih.
    Gut finde ich, dass sie jedem Strandresidenten einen mit Sand gefüllten Plastikbecher als Aschenbecher bringt, mit dem freundlichen Hinweis, die Kippen doch bitte darin auszudrücken. Selbst ich als Raucher finde die Massen an Filterzigarettenstummeln, die achtlos im Sand oder Kies zurückgelassen werden, ziemlich fies.
    Der grobe Kiesstrand ist leidlich gut besucht, nicht überfüllt und wunderbar zum Relaxen. Ich habe W-Lan von meiner 10 Meter steil über mir liegenden Haustaverne „The Three Brothers“, lese, döse, schwimme, rauche, schlafe, und das den Rest des Tages. Auf meinem Handy habe ich meine Lieblingsmusik gespeichert und 2 Sprach-CDs mit Griechisch-Lektionen aus meinem Volkshochschulkurs. Ich bin noch nicht dazu gekommen, getrennte Ordner in meinem Samsung S 4 mini dafür anzulegen. So kommt es, dass ich bei der Zufallswiedergabe von Musiktiteln über Kopfhörer immer wieder überrascht werde, wenn z.B. auf Jimi Hendricks “Little Wing“ ---- Máthima Pénde “Níco échi Jenéthlia“ (Lektion 5, Nico hat Geburtstag) auf Griechisch folgt. Der Kontrast ist hart, aber so verbinde ich dann das Angenehme mit dem Nützlichen und trainiere das „Spontanverstehen“.

    1. Wandertag, von Sfakiá nach Loutró

    Mein erster Ausflug soll an der Küste entlang nach Loutró gehen, wovon ich schon soviel gehört habe, aber noch nie gewesen bin. Ich will es mir wenigstens mal anschauen und eine Vorstellung von dem ursprünglich so verträumten Fischerdorf bekommen, welches nur zufuß oder über das Wasser zu erreichen ist. Und ich mache es jetzt, weil ich in ein paar Jahren womöglich vor einem Schild stehe: „Wegen Überfüllung geschlossen“.
    Zurück nach Sfakiá fahre ich dann mit der Fähre, ich kenne zwar den Fahrplan nicht, aber irgendwie komme ich irgendwann schon zurück.
    Ich gehe von meinem Zimmer aus direkt hoch durch das Dorf in Richtung der weit oben verlaufenden Küstenstraße nach Anópolis mit der Gewissheit, dass es einen Trampelpfad hoch auf die Straße geben muss. An einem Apartmenthaus oben am Ortsrand frage ich eine Griechin nach dem Weg und sie sagt, dass ich nur durch den überdachten Eingangsbereich des Hauses durchgehen müsse und da wäre dann auch schon der Weg.

    Ich finde es immer wieder toll, wie selbstverständlich viele Wege über Privatgrundstücke und durch Wohnhäuser führen, und dass jeder sie benutzen kann. Trotz Expansion und reger Bautätigkeit wird sinnigerweise noch darauf geachtet, dass ursprüngliche Zuwegungen und Abkürzungen nicht einfach zugebaut und abgeriegelt werden dürfen. In der Tradition der alten (Berg-)Dörfer, wo man oft das Gefühl hat, durch die Wohnbereiche der Bewohner hindurchzugehen, und das Ganze wie ein einziges Wohn-Labyrinth wirkt.

    Durch ein paar offene Gittertörchen hindurch kraxle ich über einen ausgetrampelten, steinigen Weg den verdorrten Berghang hoch auf die Straße. Ich gehe links die Straße entlang ca. 1 km bis zur ersten 180 ° Kehre, wie es im „Foher“ beschrieben steht. Die Straße steigt leicht an und der Blick über die gesamte Bucht von Sfakiá wird immer grandioser. Ich komme noch an einem Abzweig links zum Meer runter vorbei, wo sich eine weitere, ruhige Badebucht mit Gästehaus, beides namens Ilíngas, befindet. Die gleichnamige Schlucht führt gegenüber rechts hoch durch die Berge und soll zu einem verlassenen Dorf namens „Mourí“ führen.

    An der Spitzkehre angekommen, gehe ich links von der Straße ab auf den steinigen Weg im Berghang, von dem es teilweise ganz schön steil nach unten geht. Obwohl dieser Pfad zum E4-Wanderweg gehört, darf man ihn sich nicht als gut ausgebauten Weg vorstellen. Man muss ihn eher suchen, denn er hebt sich von Felsen und Geröll kaum ab. Durch die starken Regenfälle im Winter wird er wohl auch immer wieder verschüttet, und es sorgt bestimmt niemand jedes Frühjahr dafür, dass er wieder ordentlich frei geräumt wird. Das müssen die Wanderer dann schon selber machen oder drüber kraxeln.
    Ich stelle fest, dass ich heute nicht gerade der Fitteste bin und ich muss ganz schön aufpassen, nicht abzuschmieren. Grund dafür ist mit Sicherheit die nicht unerhebliche Menge an Retsina und Raki, die ich mir gestern abend genehmigt habe. Mein Mund und Rachen sind vollkommen ausgetrocknet, und ich müßte eigentlich so eine Standleitung mit Wasser in meinem Daypack haben, worauf ich beim Kauf meiner Ausrüstung aber verzichtet hatte. Und ganz Schwindelfrei bin ich heute auch nicht, aber da muss ich jetzt durch.
    Nach ca. einer guten halben Stunde Stolperns, sehe ich von Weitem mein Zwischenziel, den „Glikanéra“-Strand. Kurz bevor ich ihn erreiche, muss ich aber nochmal richtig über riesige Felsbrocken klettern, die hier abgegangen sind.
    Ich hatte im „Fohrer“ gelesen, dass der Strand an der Ostseite der Bucht vor einigen Jahren durch einen Bergrutsch verschüttet worden ist und 2 Touristen dadurch zu Tode gekommen sind. Der Strand wird auch von vielen Wildzeltern genutzt.
    Die Bucht hat ihren Namen von „glikós-süß“ und „neró-Wasser“, da hier unterirdische Süßwasserquellen entspringen
    Nassgeschwitzt und erschöpft erreiche ich den Strand und bin im Zwiespalt, ob ich jetzt sofort ins Wasser renne oder erst mal bis zum Ende des Strands in die kleine Taverne, die als Pfahlbau ins Wasser gebaut und über einen kleinen Steg zu erreichen ist. Ich entscheide mich für das Zweite und gehe dorthin, weil ich unbedingt in den Schatten muss. In dem gut besuchten „Strandpavillon“ angekommen, setze ich mich an einen langen Holztisch in der Mitte und warte auf die Bedienung. Am Tischkopf sitzt eine schwarz gekleidete, ältere Frau mit weißen Haaren, die meinen Zustand sofort erkennt. Sie scheint die Mutter des Familienbetriebs zu sein und signalisiert dem ebenfalls ganz in schwarz gekleideten, jungen Wirt, der alle Hände voll zu tun hat, dass bei mir Versorgungsbedarf bestehe. Er fragt, was ich wünsche, und ich bestelle mein traditionelles Herrengedeck, welches ich in solchen Extremsituationen aus medizinischen Gründen bevorzuge: Eine große Flasche Wasser, eine Cola und ein Bier. Kommt sofort!
    Er geht natürlich davon aus, dass bei dieser Bestellung gleich meine Begleitung nachkommt.
    Ich halte mich ca. eine dreiviertel Stunde hier auf, gleiche meinen Elektrolythaushalt aus und beobachte das rege Geschehen in der Taverne, in der auch typisch kretische Tagesgerichte angeboten werden. Das Publikum besteht hier aus einer bunten Mischung von „Normal“-Touristen, Strandschönheiten in aktuellster Bademode (solche, die quasi unsichtbar ist), und Rasta-gelockten (Neo)-Hippies.
    Auf dem Meer sehe ich einige Ausflugsboote, die die Strandgäste anschippern oder abholen. Die ganze Bucht mit der steil aufsteigenden Bergwand zählt zu den schönsten Badebuchten, die ich bisher auf Kreta gesehen habe, und der Strand ist ziemlich gut besucht, obwohl er nur über das Wasser oder über lange Schotterwege zu erreichen ist.

    Als ich bezahlen will, fragt mich der Wirt, wieviele Personen ich sei (frei nach Precht: Wer bin ich, und wenn ja, wie viele). Ich sage zwar, dass ich alleine sei, dennoch kommt er gleich mit einer kleinen Karaffe Rakí an, stellt sie mit 2 Gläschen hin und prostet mit zu. Jamas! Die Mutter sitzt nach wie vor mit zufriedenem Gesichtsausdruck am Tisch und auf meine Frage hin, wie weit es noch zufuß nach Loutró sein, sagt sie mir, noch eine knappe Stunde. Das passt! Von dem Rakí genehmige ich mir immerhin die Hälfte, und dann gehe ich runter zum Strand baden. Ich will mich nicht lange aufhalten, deponiere meine Klamotten auf einer freien Liege direkt am Wasser und genieße ein unglaublich wohltuendes und erfrischendes Bad. Das Wasser ist zumindest im Uferbereich tatsächlich süß und sehr weich, und mir fällt auf, dass die Kieselsteine am Strand und im Wasser viel bunter sind als sonst und in allen Farben wie Halbedelsteine aussehen, besonders unter Wasser. Hängt womöglich mit dem Süßwasser zusammen. Für Steinsammler und Schmuckmacher ein absolutes El Dorado. Ich stecke mir auch einige kleine, schöne Stücke in den Rucksack.

    Gut erholt mache ich mich auf nach Loutró. Der Weg führt hinter der Taverne steil hoch weiter an der schönen Küste entlang. Oben angekommen mache ich noch ein paar Fotos von Glikanéra und denke, dass es mich bestimmt nochmal hier hinziehen wird.
    Der Fussweg nach Loutró ist gut ausgetrampelt und läßt sich bequem gehen. Es ist aus der Erinnerung heraus nichts Besonderes hervorzuheben auf der Wegstrecke, bis auf Eines:
    Ungefähr auf halber Strecke gehe ich auf einen alleinstehenden Felsbrocken rechts am Wegesrand zu, der sich voll in der Farbe lila von der übrigen Landschaft abhebt. Enthielt der Rakí vielleicht eine halluzinogene Substanz? Ich schließe die Augen, drehe mich um, schau wieder hin und es bleibt lila. In der gesamten Umgebung kann ich keinen Stein oder eine sonstige Stelle erkennen, die auch nur annähernd lila leuchtet. Alles liegt im üblichen verdorrten Grau-Grün-Braun.
    Ich hatte mir in Chóra Sfakíon eine neue Billig-Sonnenbrille gekauft (Lacoste-Fake, 8 €), die ich kurz absetze und nun sehe, dass sie dieses Phänomen verursacht. Ohne Brille alles ganz normal, mit Brille voll lila, aber nur dieser eine Felsen. Ein Geologe oder sonstiger Fachmann könnte mir vielleicht erklären, welches Element in dem Gestein enthalten ist und diese Erscheinung nur in Verbindung mit dem Blick durch eine Sonnenbrille hervortritt. Aber wieso weit und breit nur dieser eine Brocken??

    Etwas nachdenklich gehe ich weiter und versuche mir die Gedanken aus dem Kopf zu schlagen, dass es sich vielleicht um ein göttliches Zeichen gehandelt hat. Aber was will es mir sagen?? Vergiss es, alles Quatsch!
    Mir begegnen auf dem Weg nur wenige Wanderer und kurz vor Loutró wird die Gegend deutlich grüner mit mehr Baumbestand. Unter einem Baum direkt am Wegesrand halten sich einige Ziegen im Schatten auf, schöne Exemplare. Von einem Bock mache ich das Porträt-Foto, was später mein Profilbild hier im Forum wird.

    Ich schaue von oben auf die Bucht von Loutró herab, die wirklich sehr pittoresk ist. Durch einige Abzäunungen hindurch gehe ich runter in den Ort, wo ich zuerst durch eine kleine, verwinkelte und ziemlich gepflegte Gasse komme, in der ein kleines Geschäft und und ein Café liegen. Nach wenigen Metern gelange ich an den Anfang der schmalen Uferpromenade, an der einige Restaurants liegen, durch die der Weg hindurch führt. Hier brutzelt schon das Fleisch auf den Holzkohle-und Flammengrills, und wartet auf den abendlichen Ansturm der Touristen, die jetzt noch wie die Ölsardinen aneinandergereit am schmalen Kiesstrand liegen. Ich gehe bis ungefähr zur Mitte der Promenade und bleibe an einer kleinen Bude stehen, die Getränke und Eis verkauft. Hier kaufe ich mir bei einem freundlichen jungen Mann eine Dose Bier, setze mich auf das Mäuerchen nebenan und schaue durch die Sonnenschirme am Strand hindurch aufs Meer. Hier ist alles dicht an dicht gedrängt und man merkt, dass der schöne Ort eigentlich kaum in der Lage ist, die Massen an (Tages-) Touristen aufzunehmen.
    Eine Amerikanerin erzählt dem Mann am Kiosk gerade, dass sie in Réthimnon auf einer Hochzeit gewesen sei und dort 2 Männer, die in der Nacht Gewehrsalven losgelassen hätten, sofort verhaftet worden wären. Laut Gesetz würde unerlaubter Waffenbesitz und Schießerei in der Öffentlichkeit neuerdings sofort mit Gefängnis bestraft, wenn man dabei erwischt würde.

    Ich gehe bis zum Ende der Promenade, wo die Schiffe anlegen und erkundige mich nach der Fähre zurück nach Sfakiá. Sie geht (glaube ich) um 16.00 Uhr. Ich kaufe an einer Holzbude ein Ticket (vielleicht 9 €?) und habe noch über eine Stunde Zeit. Hier in der Nähe der Anlegestelle reiht sich auch ein Lokal an das andere, dazwischen einige Läden mit (Kunst-) Handwerk und dem üblichen Souvenir-Kitsch. Die Lokale sind teilweise aber sehr geschmackvoll gestaltet und durchaus einladend. Trotz oder wegen der Touristenströme hat man sich bemüht, ein gewisses idyllisches Flair zu bewahren. Das ursprüngliche Fischerdorf wirkt insgesamt aber mittlerweile wie ein stark frequentieres Freilichtmuseum.
    Ich gehe nochmal bis ganz ans östliche Ende der Promenade, von wo ich gekommen war, setze mich dort auf eine ins Wasser gebaute Terrasse einer Taverne, habe die schöne Bucht komplett im Blick und trinke noch was. Ich bin zu faul, noch durch den Ort zu laufen und erwarte davon auch nicht allzu viel, da mir alles zu unecht und voll und ganz auf Geschäft fixiert zu sein scheint.
    Als die große Fähre der „Anendyk Lines“ auf den Hafen zufährt, bewege ich mich wieder dorthin. Hunderte Leute entern das Schiff. Auf der Rückfahrt nach Chóra Sfakíon sitze ich bei einer Gruppe von jungen Leuten, die mit Gitarre und Percusionsintrumenten Musik machen. Entspannt lasse ich die steile Küste mit den vielen kleine Buchten an mir vorbeiziehen und kann kaum glauben, dass ich diese Wegstrecke heute zufuß gelaufen bin.
    Ich schätze, dass die Fahrt eine dreiviertel Stunde gedauert hat, und gehe mit der Menschenmasse in Sfakiá von Bord. Die Restaurants sind schon bestens auf die Attacke vorbereitet. Ich gehe zuerst mal auf mein Zimmer und erst bei Dunkelheit wieder raus zum Essen. Dann liegt der Ort wieder im Dornröschenschlaf, denn 80-90 % der Gäste sind Tagestouristen, und die sind jetzt mit den Reisebussen wieder weg.

    2. Strandtag, Vrissi-Bucht

    wie der erste, s.o.

    2. Wandertag, Chóra Sfakíon – Arádena-Schlucht

    folgt...
    Geändert von belgofritz (16.August.2017 um 09:02 Uhr)

  26. #106
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    Danke, Öcher Jong, für die lustige Schilderung von Chora Sfakion, die Gegend kenne ich ganz gut und habe vieles wiedergefunden.

    Besonders gefiel mir der Absatz "griechische Toiletten sind nie normal" - einfach Klasse. Wie Recht Du hast!!!

    Eine feine Gute-Nacht-Lektüre, ich schlafe jetzt grinsend ein . . . schönen Gruß von krassi

  27. #107
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    Und schon wieder super geschrieben, ich habe mich köstlich amüsiert.
    LG Giorgos
    Όποιος ταξιδέψει νωρίς στην Κρήτη, δεν θα δει πολλά άλλα από τον κόσμο
    Τῷ γὰρ καλῶς πράσσοντι πᾶσα γῆ πατρίς.

  28. #108
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    Das läßt sich wieder soooo schön lesen.Deine Beschreibung der Toilettenspülung ist der Knaller .Genau so kennt man das .
    Freue mich schon auf die Fortsetzung.
    LG Dorad

  29. #109
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    2. Wandertag, Chóra Sfakíon –Arádena-Schlucht – Mármara-Bucht – Loutró

    Der Bus in die Berge nach Anópolis geht um 10.00 Uhr. Ich trinke nur einen Kaffee auf dem Zimmer und nehme mir vor, in Anópolis zu frühstücken, bevor ich den Weg zur Arádena-Schlucht antrete. Ich gehe zur Haltestelle auf dem Umschlagplatz am Ortseingang. In mein Daypack packe ich wieder nur Handtuch, Badehose, ein bisschen Brot, Obst und zwei kleine Flaschen Wasser, die müssen reichen, und natürlich den nötigen Kleinkram, wie Mini-Fernglas, Handy, Tabak und den „Fohrer“ . In einer Flasche Wasser habe ich 2 Magnesium-Brausetabletten aufgelöst, da ich mir einbilde, dass das gut ist, und eine halbe Zitrone ausgedrückt.

    Früher habe ich in manchen Urlauben auf Kreta öfter den Fehler gemacht, spontan bei einem kleinem Nachmittagsspaziergang um die Häuser, einfach immer weiter zu gehen und mir irgendein Ziel zu stecken, was schon nicht so weit sein wird. Im Dorf schläft gerade sowieso alles, einschließlich der Familie, und auf Strand habe ich heute keinen Bock. Also was soll's. An Wasser habe ich dann allerdings nicht gedacht und bin dann einige Male echt an meine Grenzen geraten, besonders, wenn es in der Nachmittagssonne nur bergauf ging. Einen Hang zum Übertreiben hatte ich schon immer, aber auf diesen Wander-Exzessen auch immer den unbedingten Willen, dass mir die Lampe nicht ausgeht, auch wenn das Licht schon oft bedenklich flackerte. Eine Art Überlebenstraining (geht auch ohne Militär). Und die Belohnung am Ende mit schon erwähntem Herrengedeck in irgendeiner Taverne ist die Erlösung pur.

    Nach kurzer Zeit kommt ein Kleinbus und nimmt die wenigen Leute auf, die heute morgen nach Anópolis hoch wollen. Vielleicht 10, die Hälfte davon Touristen. Die Fahrt dauert etwa eine gute halbe Stunde und man hat anfangs noch schöne Blicke zurück auf Chóra Sfakíon und das Libysche Meer.
    Im Dorf Anópolis hält der Bus auf dem zentralen Platz mit einem großen Denkmal für einen kretischen Widerstandskämpfer gegen die Türken. An dem Platz liegen 2 Tavernen mit Außenterrasse, die wohl auch vom Wandertourismus leben. Ich nehme die linke der beiden und setze mich außen hin, um erst mal gut zu frühstücken.

    Ohne anständiges Frühstück geht bei mir fast garnix. Ich kann den Tag gut ohne Essen verbringen, aber gut Frühstücken muss sein, das war schon immer so. Ich habe morgens immer einen Riesen-Appetit, und sollte das mal nicht so sein, dann könnte das nur mit Krankheit oder sonstigen Notfällen, wie z.B. verpennt haben, zu tun haben.

    Ich bin der einzige Gast hier. In der Taverne nebenan sitzen, halb drinnen, halb draußen, einige „Anópoler“ immer Alles im Blick und palavern.
    Eine freundliche Frau kommt raus und ich bestelle bei ihr ein komplettes Omelett mit Schinken und Schafskäse und den Néßcafe. Hin und wieder kommen Bauern mit Landmaschinen vorbei und gehen Ihrem Tagesgeschäft nach.
    Das gute Frühstück war genau die richtige Ration, und ich mache mich auf über den Platz hin zu einer Hinweistafel, wo ein junges und ein älteres Paar stehen und sich unterhalten. Ich schaue auch auf die sonnengebleichte Tafel, die mich ziemlich anstrengt, und komme mit den Leuten ins Gespräch. Beide Paare haben bereits die Arádena-Schlucht „gemacht“ , und können mir die Tour nur empfehlen. Das junge Paar aus Deutschland will heute zum Gipfel des Páchnes hoch. Die beiden sind mir symphatisch, leicht verwildert, ca. Ende 20, er mit langen Haaren, sie einfach dazu passend. Naturfreaks.

    Der Páchnes ist als höchster Gipfel der „Léfka Óri“ der „Weißen Berge“ mit 2453 m nur ca. 3m niedriger als Tímios Stavrós im Psiloritis-Gebirge, aber laut Reiseführer einfacher zu besteigen. Man kann es in einem Tag schaffen, wenn man früh genug aufbricht und mit dem Auto, am besten Jeep, bis auf 2050 m Höhe fährt. Von dort aus sind es nur noch 3 Stunden zufuß hin und zurück. Warme Kleidung sollte man immer dabeihaben, da es wohl auch im Juni bis September tagsüber schon mal ziemlich kühl werden kann. Der Panorama-Blick von dort oben ist bestimmt sehr geil, vor allem kann man im Osten den größeren Bruder im Psiloritis-Gebirge sehen, den Tímios Stavrós, der alles überragt.

    Ich gehe ortsauswärts die schmale, asphaltierte Straße entlang, immer der Nase nach. Es gibt auch einen alten Eselsweg, der irgendwo parallel verläuft, aber ich ziehe heute mal die Straße vor. Links und rechts des Weges stehen einige Häuschen mit mehr oder weniger angelegten Gärten, es rührt sich nichts, kein Mensch zu sehen. Manche Häuser sehen ein bisschen aus wie Wochenend- oder Schrebergartenhäuser, die zum Teil mit wenig Mitteln, aber kreativ zusammengefrickelt sind. Ich tippe auf Rückzugsorte für Einheimische, die in der Stadt oder auf dem Festland arbeiten und hier auf geerbtem Grund und Boden ausspannen.
    Nach einer Weile schlängelt sich die schmale Straße durch die hügelige und immer karger werdende Landschaft. Plötzlich blinzelt mich auf dem von der Sonne schummernden Straßenbelag ein kleines, glänzendes Teil an. Sieht aus wie Gold. Als ich es aufhebe, habe ich eine abgefeuerte, zerdötschte Patronenhülse in der Hand. Die wenigen Straßenschilder, die hier stehen, sind selbstverständlich alle durchlöchert. Zum Andenken an die Wanderung stecke ich das Teil in meinen Rucksack, nicht ahnend, dass das dumme Ding ganz am Ende meiner Reise noch eine besondere Rolle spielen wird.
    Nach ca. 40 Minuten Fußweg komme ich an eine Kreuzung hinter der die Straße leicht abschüssig am Einstieg zur Schlucht entlang verläuft. Einige hundert Meter weiter gelange ich zur Brücke über die Arádena-Schlucht.

    Die Brücke ist eine Art Stiftung zweier Brüder aus der Umgebung, die irgendwann in der Ölindustrie zu viel Geld gekommen sein sollen und dann aus Heimatliebe diese aufwändige Schluchtüberquerung gebaut haben.
    Die Arádena ist eine von unzähligen Schluchten im Westen Kretas und eine der mittellangen- und hohen Schluchten, die alle im Meer münden. Im Winter und Frühjahr sind viele nicht begehbar, da Sturzbäche vom Regen und der Schneeschmelze aus den Bergen sich den Weg ins Meer suchen.
    Die höchste, längste und bekannteste dieser Schluchten ist die Samariá, die etwas weiter westlich liegt und bei Agia Roumeli an der Südküste ausläuft. Hier findet ein seit vielen Jahren immer stärker werdender Schlucht-Wandertourismus statt, mittlerweile sogar mit Eintritt. Ich bin noch nie da gewesen und strebe es auch nicht mehr an, da ich auf Massenwanderung keine Lust habe. Allerdings will ich zumindest mal eine Schlucht durchquert haben, und da erscheint mir die Arádena willkommen. Den Tipp habe ich aus der schon erwähnten Reisereportage „Wunderschönes Kreta“ des WDR. Ich denke mir, eine Schlucht reicht. Hast du eine gesehen, dann hast du alle gesehen, da sie sich wahrscheinlich nur in den Dimensionen unterscheiden.

    Auf der anderen Seite der Brücke kann man weiter wandern, über den kleinen Ort Ágios Ioánnis und Ágios Pávlos, vorbei an der Eligiás-Schlucht, bis runter an die Küste nach Ágia Rouméli, wo die Samariá-Schlucht ins Meer mündet. 2-3 Stunden.

    Ich gehe über die Brücke, eine Holz-Stahlkonstruktion, die auch auch mit dem Auto zu befahren ist. Über den seitlichen Brüstungen sind Metallnetze gespannt und die ganze Konstruktion sieht ein wenig befremdlich aus. Ein paar Männer turnen mit Sicherheitsgurten auf der Brüstung herum und montieren irgendwas. Ich wage einen Blick nach unten in die Schlucht, die schon mächtig tief ist. Am Ende der Brücke komme ich auf einen kleinen Platz mit einem Kiosk, wo ich mir ein Dose Cola kaufe und auf einer Holzbank eine Pause mache. Es dauert nicht lange, da setzt sich eine Gruppe dieser sportlich aussehenden Männer an den Tisch neben mir und macht Mittagspause. Einer hat eine Papiertüte mit Obst dabei, kommt an meinen Tisch und bietet mir zwischen 2 Fingerspitzen eine frische Birne an. Sehr nett, efkaristó polí.
    Die Typen im Alter von ca. Mitte 30 machen alle einen sehr fitten und vitalen Eindruck. Voll im Leben stehend. Sie wirken auf mich wie irgendwelche Spezialkräfte und sind bestimmt keine Ziegenhirten aus der Umgebung, aber Kreter. Während sie palavern, fällt bei mir endlich der Groschen: Von der Brücke über die Arádena stürzen sich am Wochenende schonmal einige waghalsige Bungee-Jumper in die Tiefe.

    Ich hatte ganz vergessen, dass ich im Reiseführer darüber gelesen hatte und auch in besagter WDR-Reisereportage darüber berichtet wurde. Mit 138 m Tiefe ist das hier angeblich der höchste Bungee-Spot Griechenlands und der zweithöchste Europas.

    Meine Tischnachbarn sind wohl so eine Art Höhenretter, die die entsprechende Absprungvorrichtung jedes Wochenende eigens montieren und für den sicheren Ablauf des Spektakels zuständig sind.
    Ich überlege, ob ich hier oben warte, bis die ersten Gummi-Twister erscheinen und ich mir das Procedere hier oben anschaue, oder meine Wanderung fortsetze. Da ich in jedem Fall heute noch die Arádena durchqueren und nach Möglichkeit auch noch nachhause kommen will, entschließe ich mich, weiterzugehen. Hinter dem Kiosk führt der Weg weiter durch den verlassenen Ort Arádena, dessen Ruinen und teilweise restaurierten Bruchsteinhäuser erahnen lassen, dass es mal ein bedeutender Ort gewesen sein muss.

    Das Dorf ist aufgrund einer Familienfede seit Ende der 40er Jahre verlassen. Ein Junge hatte wohl die Glocke einer Ziege aus einer anderen Sippe gestohlen, was dermaßen ausartete, dass sich die Sippenmitglieder gegenseitig umbrachten. Um die totale Ausrottung der Bewohnerschaft zu vermeiden, einigte man sich darauf, den Ort komplett zu verlassen.

    Die Siedlung ist zwischen dichtem Baumbestand sehr pittoresk eingebettet in die hüglige Landschaft und könnte auch wieder als Filmkulisse oder Beispiel für fantastische Computerspiel-Animationen dienen. Einige wenige Gebäude wurden mit EU-Mitteln renoviert und irgendwann wird das ganze Ensemble wohl zum Freilichtmuseum werden und mehr Touristen anziehen.

    Ein alter Eselspfad schlängelt sich steil hinunter zum Grund der Schlucht. Auf der gegenüberliegenden Seite könnte man wieder hinaufgehen, um wieder auf den Weg zurück Richtung Anópolis zu kommen. Ich gehe planmäßig über das ausgetrocknete Flussbett Richtung Schlucht-Schlund und sehe die Brücke, die weit oben wie ein schmaler, schwarzer Strich vor blauem Hintergrund die beiden steilen Felshänge verbindet. Ich hatte gehofft, dass ich jetzt von hier unten vielleicht einen lebensmüden Bungee-Jumper sehen könnte, der dann haarscharf über meinem Kopf wie ein Jojo wieder raufgezogen würde. Aber Fehlanzeige. Wahrscheinlich ist es noch zu früh am Tage. Ich kann auch hoch oben keine Anstalten erkennen, die auf einen baldigen Sprung hindeuten, wobei man von hier unten auch kaum Details erkennen kann. Also setze ich meinen Weg fort. Am Anfang kommt mir noch ein Paar mit Kind entgegen, was wohl einen kurzen Abstecher in den Schluchteingang gemacht hat und wieder hoch will. Ab jetzt begegnet mir bis auf weiteres niemand mehr. Der mit Kies bedeckte Schluchtboden ist anfangs noch ziemlich ausgetreten, wird aber bald unwegsamer, und ich muss das ein oder andere Mal über größere Felsbrocken steigen, insgesamt ist er aber durchaus gangbar.
    Klar sollte man festes Schuhwerk anhaben (im „Fohrer“ sind Wanderstiefel unbedingt angeraten), aber ich hatte keine Lust gehabt, mir vor der Abreise noch richtige Wanderschuhe zu kaufen, mit denen ich dann immer rumlaufen muss, wenn ich mal etwas weitere Strecken gehe und vielleicht auch zwischendurch mal ins Wasser hüpfen will, worauf ich dann möglicherweise verzichte, weil das Aus-und Anziehen der steifen und hohen Schnürer mir zu mühsam ist. Und ich hatte mir fest vorgenommen, mit einem Paar Trekkingsandalen und einer Art Allround-Schuh klarkommen zu wollen. Insgesamt 3 Paar Schuhe mitzunehmen wäre mir zuviel gewesen. So hatte ich mir einen halbwegs „normalen“ Camel-Sneaker aus Wildleder mit Leder-Innensohle zugelegt, in dem man auch nicht so schwitzt (ca. 90 €) Die Suche nach einem geeigneten Schuh war äußerst mühsam und langwierig bis ich mich für diesen Halbschuh entschieden hatte, der relativ leicht und trotzdem stabil ist und nicht so nach Eifelverein-Wanderschuh oder Jack Wolfskin Litfassäule aussieht.
    Das Problem ist, dass das Angebot an „Turnschuhen“ mittlerweile dermaßen unüberschaubar geworden ist, das man völlig ratlos dasteht. Insbesondere, wenn einem die knallig-bunten und auffälligen Plastikapplikationen nicht gefallen, die zzt. Inn(also eigentlich wieder Out) sind. Und ob die Qualität die teilweise horrenden Preise bei den Topp-Marken rechtfertigt, bleibt dahingestellt. Einen NoName-Deichmann-Sneaker kriegst du auch nicht schnell kaputt und er kann saubequem sein, aber wer steht schon auf "Victory"!!

    Je weiter ich in die Schlucht vordringe, desto dunkler und stiller wird es. Weder Schlangen noch irgendwelches Kleingetier kann ich wahrnehmen. Hin und wieder sehe ich weit oben große Raubvögel, wahrscheinlich Geier, majestätisch über der Schlucht kreisen, die nach einer Mahlzeit Ausschau halten. Ich beschließe, vorsichtig zu sein und hierzu nicht zur Verfügung zu stehen.
    So manches Ziegengerippe, das längst gefleddert wurde, liegt verwesend herum. Diese Tiere haben leider Pech gehabt und sind trotz ihrer akrobatischen Fähigkeiten in den steilen Felshängen abgeschmiert. Die Geier lauern wohl nur darauf.
    Nach ca. einer dreiviertel Stunde gelange ich zu einer im Reiseführer beschriebenen, steilen Abbruchkante, die man entweder über eine angebrachte Leiter 12 m tief hinuntersteigen, oder über einen in den Felshang gehauenen, schmalen und holprigen Pfad umgehen kann. Ich entscheide mich für den Pfad, der zwar teilweise mit mittlerweile morschem Geländer gesichert, aber durch Regenfälle und Steinschlag nicht mehr ganz leicht zu begehen ist. Er führt erst steil hoch an der Felswand entlang und dann ebenso steil wieder runter. Am gefährlichsten sind immer die Ansammlungen von feinem Geröll, die wie ein Rollbett wirken. Hier nützen auch die profiliertesten Sohlen nicht viel. Konzentration ist hier jedenfalls angesagt. Unten am Schluchtboden wieder angekommen, kann ich auf die mächtige Bruchkante zurückschauen und sehe auch die mehr schlecht als recht angebrachte Eisenleiter. Ich stelle mir vor, wie hier im Winter ein Wasserfall herabstürzt. Ein junges Paar aus Deutschland kommt mir strammen Schrittes entgegengestiefelt und steuert gezielt den Abhang mit der Leiter an. Ich sage ihnen, dass es auch einen Umgehungspfad gäbe, aber die beiden kennen sich bestens aus und wollen lieber die Leiter nehmen. Sie sind schon bis zur Mármara-Bucht runtergelaufen und wandern jetzt wieder zurück.
    Die Natur hier in der Schlucht ist recht abwechslungsreich, mit bizarren Felsformationen und viel unterschiedlichem Gewächs, teilweise Nadelbäume. Kleinere Felshöhlen sind überall und man kann sich gut vorstellen, dass die Schluchten gerade hier in der Sfakiá im 2. Weltkrieg und auch gegen die Türken das ideale Versteck für kretische Widerstandskämpfer waren. Eindringende Feinde konten hier nur in den Hinterhalt geraten und zogen es eher vor, draußen zu bleiben.
    Nach insgesamt vielleicht 2 Stunden werden die Felswände niedriger, es wird heller und man kann das Meer praktisch riechen. Die Schlucht wird breiter und offener und man geht über weichen Untergrund aus Sand und Kies durch ein Oleanderwäldchen bis einen das tiefblaue Meer über der Mármara-Bucht anlacht. Einige Backpacker haben hier im Schluchteingang zwischen den Oleanderbäumen ein schattiges Plätzchen gefunden und ihre Zelte aufgeschlagen ( Ein ähnliches Bild sehe ich einige Wochen später in der kleinen Agío Fárango-Schlucht, die zwischen Káli Liménes an der Südspitze Kretas liegt. Ein ziemlich magischer Ort mit Höhlen in den Felshängen, wo einst Eremiten gelebt haben. Warum sich ausgerechnet an diesen Stellen, wo sich die Schlucht zum Meer hin öffnet, Oleanderwäldchen ansiedeln, wird ein Biologe sicher erklären können).

    Den Strand der Mármara-Bucht (Marmor-Bucht, da hier Marmor-Felsen bis ins Meer hineinreichen), hatte ich mir größer vorgestellt und vor allem war er in dem WDR-Reisebericht ziemlich verlassen und einsam. Die Sendung war aber, glaube ich, im Spätherbst aufgenommen worden. Jetzt sehe auf dem relativ kurzen Stück Strand Liegen und Schirme dicht gedrängt nebeneinander und alle besetzt. Es ist kaum ein freies Plätzchen vorhanden und sehr viel los. Rechts oben auf einem Felsvorsprung sehe ich eine sehr schöne, begrünte Taverne zu der eine Treppe vom Bootsanleger hinaufführt. Zum Baden habe ich noch keine Lust, vor allem in dem Trubel, also begebe ich mich dorthin. Ein Bier kommt jetzt bestimmt gut. Die überdachte Außenterrasse mit Blick aufs Meer ist fast voll besetzt. Mehrere Kellner versorgen die Leute mit Essen und Trinken. Es sind überwiegend größere Gruppen, auffallend viele mit slawischer Sprache, aber auch Griechen, Franzosen, Holländer, Deutsche.... An dem in die Holzbude reingebauten Tresen bestelle ich mir eine Flasche Bier, zahle direkt und gebe zu Verstehen, dass ich nur was trinken möchte. Ein freundlicher Kellner weist mir einen Platz am Ende eines langen Holztisches zu, an dem noch genügend Platz ist.

    Ich kann mich gut an eine Szene aus der erwähnten TV-Reportage erinnern, wo die Moderatorin mit einem Griechen, der hier in der Mármara-Bucht mehrere Ausflusgboote liegen hat, eine Bootstour unternimmt und ihn interviewt. Er hat jahrelang in Düsseldorf gelebt und dort als Büromensch gearbeitet. Irgendwann wurde die Sehnsucht nach seiner Heimat Kreta so groß, dass er die Kravatte ablegen musste und wieder zurückkam. Er baute sich das kleine Geschäft mit den Bootstouren auf und genießt nun das süße Leben auf seinem sonnigen „Kontinent“, der für die meisten Kreter ohnehin die ganze Welt bedeuten würde.
    Ich bin sicher, dass ich den Typen erkennen werde, und es dauert auch nicht lange, dass besagter Kapitän, ich glaube Jiorgos (im Zweifel immer), eine Stippvisite an der Theke macht, mit dem Personal schwätzt und die Lage peilt. Ich habe mein Bier leer und hatte sowieso vor, aufzubrechen, gehe aber nur bis zum Bootsanleger und warte, ob mein TV-Star runterkommt, um ihn mal anzusprechen. Nach ein paar Minuten kommt er auch und ich frage ihn, ob er derjenige aus der WDR-Sendung sei. Er lacht und erzählt mir in fließendem Deutsch, dass er seit der Sendung schön öfter angesprochen worden sei und er wäre es. Wir unterhalten uns noch was , und ich frage ihn, ob er heute noch nach Loutró fahren würde, was er verneint. Er hätte gleich eine Termintour in die andere Richtung, ich glaube Rouméli. Aber wenn ich nach meiner Fußtour schon hier wäre, dann könnte ich es auch noch locker bis Loutró machen, gute Stunde.
    Hatte ich ohnehin vor. Wir verabschieden uns und ich setzte meinen Spaziergang fort.
    Ich gehe über den Strand die trockene Landzunge hinauf auf den ebenso trockenen Pfad am steilen und steinigen Küstenhang, der hier wieder den E4 Wanderweg beschreibt. Die Wegmarkierungen sind allerdings wieder abenteuerlich. Es kommt auf dem felsigen Weg immer wieder vor, dass die Markierung nach einigen Metern voll in den Abgrund führt. Noch einen Schritt und du liegst 15 Meter weiter unten im Meer oder knallst auf die Klippen.
    Der nächste Spot ist die Lýkos-Bucht, die ich nach ca. 25 Minuten auf einem Felsabhang erreiche, an dem ich einige Meter zum Strand runterklettern muss. Es ist Ebbe, die sich hier in der Ecke der Bucht deutlicher zeigt als gewöhnlich, und direkt am Wasser haben sich einige Schafe versammelt, die mich oben schon gesehen hatten und mich blökend begrüßen. Ich grüße zurück und bin erst mal froh, heil am Strand angekommen zu sein. Der Weg war doch ziemlich anstrengend. Die Schafe lassen mich skeptisch aber unaufgeregt vorbeiziehen und ich kann jetzt wieder ein Stück entspannter am Meer entlang gehen. In ca.200 Metern sehe eine Ansammlung von kleinen Häusern mit einigen Tamarisken in der langezogenen, steinigen Bucht.
    (wegen Zeichenüberschreitung folgt Fortsetzung direkt im nächsten Beitrag)
    Geändert von belgofritz (3.December.2017 um 13:36 Uhr)

  30. #110
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    Lýkos ist ein Ort mit antiker Bedeutung, wie eigentlich alle Orte, und besteht heute aus ein paar Häuschen mit einigen Gästezimmern, wahrscheinlich überwiegend für langjährige Stammgäste, die einzig und allein nur Ruhe wollen. Sehr familiär und die Touristenboote fahren größtenteils vorbei und gucken nur. Wer absolut abschalten will, ist hier gut aufgehoben.
    Als ich durch die lose Häusergruppe durchgehe, alles sehr bunt und kinderfreundlich, sehe ich zwischen 2 Häusern rechts zum Meer hin eine größere Gruppe von Leuten unter Bäumen zum Essen sitzen. Wir grüßen uns und ich ziehe meines Weges.
    Den Weg weiter Richtung Finix kann ich nicht erkennen, er muss irgendwo hinter den Häusern wieder steil hoch auf den Küstenpfad führen. Wieder der Nase nach, gehe ich einige Stufen hoch durch ein Haus, wo 4 schwarz gekleidete, total-vollbärtige und absolut urig aussehen Typen auf dem Innenhof an der Wand aufgereiht auf Ihren Stühlen sitzen. Offensichtlich das Kafeneíon der Eingeborenen. Ich habe keine Ahnung, wie oft das vorkommt, dass hier Wanderer nach dem Weg fragen, aber ich denke schon des Öfteren. Trotzdem kommen mir die 4 genauso verdutzt vor, wie ich ihnen. Die Männer weisen mir aber freundlich den Weg, der irgendwo hinter dem Haus hochführt. Ich gehe durch den seitlichen Torbogen um das Haus herum und ich muss fast wieder kraxeln, denn er führt am Anfang sehr steil und unwegsam auf den Küstenpfad nach Finix. Vielleicht habe ich auch den falschen Einstieg erwischt.
    Von oben aus schaue ich nochmal zurück auf die Lýkos-Bucht. Ein schöner Platz, hoffentlich bleibt er noch lange so erhalten.
    In weiteren ca. 25 Minuten erreiche ich Finix. Der Weg war nun etwas besser zu gehen, aber ich kriege verdammt müde Füße und fühle mich ziemlich kaputt. Das Einzige, was jetzt hilft, ist ein Bad im Meer.
    Finix soll der Hafen des antiken Anópolis gewesen sein und ist auf den ersten Blick etwas beschaulicher als Lýcos. Ich komme über einen Hügel von hinten in den Ort rein, wo einige kleine Häuser im Grünen mit gewachsenem Baumbestand stehen. Nach einigen Metern erreiche ich die kleine und schmale Kiesbucht, an der sich nur 2-3 Menschen auf Liegen entspannen, halb im Schatten unter Bäumen, die von der Böschung überhängen. Ich werde kurz als unbekannter Eindringling registriert und gehe schnurstracks auf ein direkt vorne liegendes Holzboot zu, wo ich mich zeitlupenmäßig ausziehe, weil ich so kaputt bin. Die erlösende Erfrischung im Meer setzt aber wieder die Glückshormone frei. Ich schwimme etwas raus und schaue mir vom Wasser aus an, wo ich eigentlich bin. Eine kleine Natursteinmole, an der Boote anlegen können, führt vielleicht 15 m ins Meer rein, und begrenzt die kleine Badebucht. Wenige Meter oberhalb vom Strand liegt eine Taverne/Pension mit relativ großer, überdachter Außenterrasse. Es ist noch Ruhezeit, nichts bewegt sich.
    Nach ausgiebigem Bad ziehe ich mich direkt wieder an und checke die Uhrzeit. Für ein Bier muss die Zeit reichen. Ich gehe die Stufen hoch und begrüße die Wirtsfamilie, die um einen Tisch herum sitzt. An der Brüstung über dem Meer setze ich mich hin und bestelle ein Bier. Die Taverne macht einen ziemlich gepflegten Eindruck, auf den Tischen liegen tie typisch blauweis-karierten Tischdecken und die typisch blauen, griechischen Stühle stehen ordentlich in Reih und Glied an den Tischen. Ich denke, dass hier mittags und vor allem abends Betrieb ist, und vielleicht auch einige Touristen von außerhalb hier herkommen-wie sie das auch immer schaffen mögen, denn eigentlich ist die Fínix-Bucht nur vom Meer aus zu erreichen.
    Unten an der Mole legt gerade ein Mann mit seinem kleinen Außenborder Richtung Loutró ab. Er hätte mich bestimmt mitnehmen können, aber ich bin einfach zu träge, um irgendwelche Spontan-Aktionen zu unternehmen und ihn anzusprechen. Vielleicht habe ich auch einen kleinen Sonnenstich, denn auch zur Griechisch-Kommunikation mit der Wirtsfamilie bin ich kaum in der Lage. Es kommt nur Mist raus.
    Alles in Allem gilt für Finix als Erholungsort das Gleiche wie für Lýcos. Ruhe und Entspannung pur.
    Auf dem letzten Stück Weg mache ich zurückblickend noch ein Erinnerungsfoto von der Finix-Bucht und erreiche in knapp 30 Minuten Loutró. Diesmal komme ich von der westlichen Seite in das Touristenidyll rein. Der Zugang von den Felsen aus ist richtig gut ausgebaut, Natursteinwege mit Geländer und so. Wie es sich für ein Touristenzentrum gehört....
    Mein Timing stimmt. Es dauert nur ca. eine Viertelstunde und die große Fähre der Anendyk-Lines legt an. Mit der Rückfahrt nach Chóra Sfakíon folgt die Wiederholung von vorgestern. Ich bin müde, aber zufrieden, dass ich nun den Küstenabschnitt zwischen Sfakiá und der Marmorbucht endlich kennengelernt habe und ich ihn vorerst auf meiner Agenda streichen kann. Vor allem hatte ich immer Finix im Kopf gehabt. Ein kleiner Wermutstropfen bleibt immer, denn man könnte alleine in dieser Gegend locker einige Wochen verbringen und sich noch Vieles anschauen. Die Hot-Spots sind jetzt jedenfalls gespeichert.
    Am Abend gehe ich nur noch in meiner Haustaverne was essen und mache mit meinem Patron Jánnis die Verlängerung meines Zimmers um weitere 3 Nächte klar. Die brauche ich hier noch, denn ich habe beschlossen, endlich mal auf die Insel Gávdos zum südlichsten Punkt Europas rüberzuschippern. Wenn ich es jetzt nicht mache, dann wahrscheinlich nie mehr.
    Ich esse und trinke bestimmt noch 2 Stunden und als ich bezahle, drücke ich dem Chef separat die 90 € für das Zimmer in die Hand, ohne Worte. Wir verstehen uns blind.
    Das Aufstehen fällt schwer, und ich schleppe mich nur noch ins Bett. Morgen nur Strand.

    3. Strandtag ( wie der erste und zweite, s.o.)
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    [I]3. Wandertag, Überfahrt nach Gávdos, zum südlichsten Punkt Europas, folgt[/I
    ]
    Geändert von belgofritz (4.February.2018 um 16:15 Uhr)

  31. #111
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    Das war jetzt an diesem trüben Tag genau die richtige Lektüre! Vielen Dank belgofritz ! Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, daß du den Bericht weiterschreibst. Umsomehr hat es mich gefreut, als ich deinen Bericht eben entdeckt habe. Wieder super geschrieben und beschrieben !!!!
    LG Dorad

  32. #112
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    Danke für die Fortsetzung , habe ich genossen, da wir im September genau dort waren : Chora Sfakion, Anopolis, Aradhena. Glykanera und Loutro kennen wir auch gut.

    Und ich bin gespannt, was Du über Gavdos schreiben wirst.
    Η Κρήτη βρίσκεται στην καρδιά μου

  33. #113
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    Hallo Belgofritz,

    in der Sfakia war in den letzten 9 Wintern/Frühjahren unser zu Hause, danke für den lebhaften Bericht. Du musst ein Gedächtnis wie ein Elefant haben nach der langen Zeit!

    Schade, dass keine Fotos dabei sind, Du machst doch welche, wie Du schreibst. Es würde den Bericht etwas zwischendrin auflockern. Sonst aber wirklich prima - vg krassi aus dem Osten Kretas

  34. #114
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    Zitat Zitat von krassi Beitrag anzeigen
    Schade, dass keine Fotos dabei sind, Du machst doch welche, wie Du schreibst. Es würde den Bericht etwas zwischendrin auflockern. Sonst aber wirklich prima - vg krassi aus dem Osten Kretas
    krassi, du bist einfach unglaublich ...

    Belgofritz - DANKE!

  35. #115
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    Danke, das wäre doch nicht nötig gewesen, Kithira!

    vg krassi

  36. #116
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    Hallo,
    Genau die gleiche Tour haben wir dieses Jahr im Frühsommer auch gemacht. So, wie Du Lykos und Finix beschreibst, haben wir es auch erlebt. Alles sehr entspannt dort! Und obwohl wir unsere "Basis" immer in der Nähe von Rethymon haben, fahren wir gerne in die Sfakia. Für uns eine der schönsten Gegenden auf Kreta, wobei ich gestehen muss, noch nie weiter östlich als Spina Longa gewesen zu sein. Den Südosten kennen wir noch gar nicht. Kreta ist halt doch ein Kontinent
    Vielen Dank für deine Berichte, ich mag viel Text!
    Grüße, Silvia

  37. #117
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    Hier noch ein paar Fotos, unsortiert. Viele hab ich nicht gemacht.
    Das Bilder-Hochladen, Sortieren etc. ist hier im Forum nicht gerade anwenderfreundlich. Ich komme damit nicht klar.....


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    Geändert von belgofritz (3.December.2017 um 13:56 Uhr)

  38. #118
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    Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, ich freue mich sehr meine alte Heimat zu sehen. Grüße nach Hause - krassi

  39. #119
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    3. Wandertag:

    Mit Captain Cóstas nach Gávdos zur südlichsten Insel Europas

    Vom Balkon meines Zimmers konnte ich die Insel Gávdos in der Ferne immer gut erkennen. Sie ist ca. 40 km (20 Seemeilen) von der Südküste entfernt, was mir als Leichtmatrose allerdings nicht viel sagt. Bei klarer Sicht sieht es so aus, als könne man mit dem Motorböötchen mal locker rüberschippern, aber der Schein trügt gewaltig.

    Einige Meter von meinem Apartment entfernt war ich immer an einem kleinen Schild an einer Hauswand vorbeigekommen, auf dem Captain Cóstas seine „Gávdos Cruises“ mit Telefonnummer anbietet. Telefonieren war mir zu anstrengend, und deshalb war ich dann gestern Nachmittag zum Hafen gegangen, um Captain Cóstas zu finden und für heute die Überfahrt klarzumachen. An einem Container-Büro wird auf großen Schildern dafür geworben, dass alle Infos zu sämtlichen Schiffstouren dort erhältlich seien. Hinter dem Touristen-Office saß ein Mann auf seinem Stuhl im Schatten. Als ich ihn auf Captain Cóstas ansprach, gab er vor, ihn nicht zu kennen. Mir schien, dass man ihm Maulsperre verordnet hat, weil man den kleinen Privatanbietern offensichtlich nicht die Butter auf dem Brot gönnt und nur für die große „Anendyk Lines“ o.a. wirbt. Also spazierte ich etwas rum und erkundigte mich bei einem Griechen auf einem anliegenden Boot. Er wies mich sofort auf die hintere Ecke am Kai hin, unterhalb der Straße, die zum Hafen führt. Hier saß eine kleine Gruppe von Leuten und als ich darauf zukam, empfing mich der Vater meines Vermieters Jánnis von The Three Brothers und streckte mir hell erfreut die Hand entgegen. Wir kannten uns aus der Taverne, wo er den lieben langen Tag in seinem nicht mehr ganz so frischen, weißen Träger-Ripp-Unterhemd seinen Ellinikó genießt. Er sieht schon ziemlich verlebt aus, der ein oder andere Rakí hat möglichweise seinen Teil dazu beitragen. Das Arbeiten hat er wohl schon seit Längerem eingestellt und hat es wohl auch nicht mehr nötig. Seine noch rüstige Frau, die Mutter der Company, hat offensichtlich die Hosen an und schmeißt den Laden mit dem Rest der Familie. Vattern genießt seinen Lebensabend.
    Captain Cóstas, ein stolzer, kantiger Grieche mit längerem, welligen Haar saß mit seiner Familie da. Mit seiner deutschen Frau Bettina, ich glaube aus Darmstadt, und zwei prächtigen Söhnen im Alter von ca. 13-16 Jahren, macht er während der Saison die Schiffstouren nach Gávdos. Nachdem ich mich eine Weile dazugesetzt und mit Bettina auf Deutsch unterhalten hatte, machte ich mein Ticket für heute klar, Abfahrt 9.30 Uhr, um die 40 €.


    Ca. 10-12 Personen haben sich heute morgen zum Trip nach Gávdos angemeldet. Die Hälfte davon Deutsche. Bettina, Costas' Frau, kassiert von jedem Einzelnen das Geld und wir legen ab. Mit dem Rücken zur Passagierkabine des vielleicht 12-14 Meter langen Boots setze ich mich außen auf eine Bank mit Blick auf den immer kleiner werdenden Hafen von Chóra Sfakíon und das immer größer werdende Kreta. Die Gischt, die das Boot hinter sich läßt, ist schon kräftig und man merkt deutlich, dass das Schiff schon richtig Power braucht, um sich durch die Wellen zu pflügen und den Kurs zu halten. Wir haben gutes, ruhiges Wetter, aber dennoch ist der Seegang nicht ohne. Für eine Überfahrt dieser Entfernung muss ein Boot wohl schon hochseetauglich sei, da sich an vielen Stellen der Südküste tückische Fallwinde entwickeln können, die das, vom Strand aus gesehen, immer so friedliche Meer für kleinere Schiffe gefährlich werden lassen können.

    Der „Kontinent“ rückt in immer weitere Ferne und nach und nach wird die Dimension Kretas wieder deutlich. Man darf nicht erwarten, dass man die Insel, je weiter man sich entfernt, schon bald in ihrer kompletten Größe erkennen kann. Dafür ist die Ost-West Ausdehnung mit ca. 260 km einfach zu groß. Im Westen sehe ich in der Ferne ein Kap und denke, dass das schon der „Haken“ bei Mátala und Kali Liménes sein könnte. Aber weit gefehlt, es ist gerade mal ein gutes Stück hinter Plakias, wie mich Cóstas aufklärt, der vorne etwas erhöht in der Kabine am Ruder sitzt und konzentriert Richtung Gávdos steuert. Seine Frau sitzt eng an seiner Seite und die Jungs halten sich vorne auf dem Bug auf. Bestimmt halten sie auch Ausschau nach Delfinen.
    Als ich mich das dritte mal Richtung Gávdos umdrehe, um zu sehen, wie weit es noch ist, steuern wir plötzlich auf eine total hohe, tiefschwarze Wand zu. Sofort schießt mir die „Moloch“ aus „ Die 13 Leben des Käpt'n Blaubär“ in Kopf, das dicke Buch von Walter Mörs, aus dem ich meinem Sohn immer vorgelesen habe. Wie aus dem Nichts, weil ich ja immer in die andere Richtung geguckt habe, kreuzt uns ein schwarzes Riesen-Containerschiff, wie man sie in der Ferne von der Küste aus immer wieder sieht, auf ihrer Route wahrscheinlich Richtung Suez-Kanal. Obwohl sie doch sehr weit entfernt von der Küste fahren, kann man vom Strand aus erahnen, dass es absolute Riesendinger sein müssen. Und jetzt sehe ich hier die wahre Relation von Schaluppe und Monsterschiff.
    Und Cóstas denkt nicht dran, die Geschwindigkeit zurückzunehmen, und zieht, unter Berücksichtigung des Wellenschlags des Kollosses, geradewegs und noch auf sichere Distanz zum Heck des Schiffes durch. A la bonheur!
    Gávdos rückt langsam näher und man kann die Kontouren der kleinen Insel schon gut erkennen.

    Aus dem Reiseführer habe ich erfahren, dass mittlerweile nur noch ca. 40 Personen dauerhaft auf Gávdos wohnen, die ihr Geld überwiegend im Tourismus-Geschäft verdienen. Vor hundert Jahren sollen es noch ca. 400 gewesen sein und in grauer Vorzeit sogar noch um die 8.000 Bewohner. Früher gab es noch Schafzucht, was aber mittlerweile auch nicht mehr ist. Es gibt im Norden, also zu Kreta hingewandt, bis zu 100 m hohe Steilfelsen und lange Strände mit seltenen Kiefernarten und Wacholderbewuchs. Der Süden soll äußerst felsig und karg sein und stark an nordafrikanische Landschaften erinnern. Im Inselinnern gibt es Täler mit größeren Waldgebieten und seltenen Kiefernarten, vereinzelt Süßwasserquellen und kleinere Wasserfälle. Auch Süßwasserschildkröten sind hier noch anzutreffen.
    Die Versorgung der Einwohner von Kreta aus war schon immer schwierig und auch der Fährbetrieb für Touristen hat eine sehr wechselhafte Geschichte. Manche Linien, die von den Orten Paleochóra, Soúgia, Agía Rouméli, Chóra Sfakíon und auch Plakiás die Erlaubnis bekommen hatten, Touristen und Nicht-Touristen mit oder ohne Fahrzeuge rüberzubringen, mußten den Betrieb wieder einstellen, und die Fahrpläne waren nicht sehr verläßlich. Es konnte zeitweise auch passieren, dass man tagelang nicht mehr zurückkam, da die Windverhältnisse es nicht zuließen. Ab Windstärke 5 aufwärts wird die Erlaubnis zum Auslaufen von der Hafenpolizei nicht erteilt.
    Einmal brach das Tourismusgeschäft auf Gávdos um 80 % ein, da es überhaupt kaum noch Möglichkeiten gab, rüberzukommen. ( Quelle „Fohrer“).

    In Lentas erzählte mir mal jemand, dass viele Hippies nach der Flower- Power-Zeit in den 60er und 70er Jahren an der Südküste, vor allem um Mátala herum, nach Gávdos zogen, da es ihnen an der Südküste zu touristisch wurde.

  40. #120
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    Nach einer guten Stunde laufen wir in den kleinen Hafen von Karavé ein. Hier stehen nur wenige Gebäude mit einer Taverne und einen Motorrollerverleih soll es geben. Ein größeres Haus befindet sich noch im Rohbau. 2 Kleinbusse warten auf Fahrgäste, die wahrscheinlich genau wissen, wo sie hinwollen. Das ist bei mir mal wieder nicht so, ich habe aber auch keine Lust, mich einer Gruppe anzuschließen. Die Rückfahrt nach Chóra Sfakíon ist um 17.00 Uhr, dann muss ich wieder an der Anlegestelle sein. Ich überlege, mir einen Roller zu mieten, mache mich dann aber doch zufuß auf den Weg aus dem Hafen raus, getreu meiner Devise, dass man nur da wirklich war, wo man zufuß war. Sozusagen Qualität vor Quantität. Mit fahrbarem Untersatz könnte ich heute die ganze Insel mit allen sehenswerten Eckpunkten komplett erkunden, würde mich dann aber auf keine Stelle richtig einlassen können, da ich schon wieder zum nächsten Zwischenziel müßte und würde viele tolle Orte rechts und links liegenlassen, ohne es zu merken. Zudem bin ich mittlerweile in einem Modus angelangt, wo ich das Alleinrumlaufen genieße. Unterhaltung habe ich mit mir selbst genug und es fehlt eigentlich nur noch, dass ich mein Handy und das Tablett entsorge, oder besser verschenke. Der Gedanke, nochmal eine Weile ohne diese technischen Hilfsmittel auszukommen, ist schon verlockend. Aber wahrscheinlich hab ich einfach zuviel Schiss.

    Die geteerte Straße steigt vom Hafen aus erst ziemlich steil an, und ich komme nach ca. 10 Minuten zu einer Kreuzung mit Ortsschildern. Die Ortsnamen wie Sarakíniko, Ágios Joánnis, Kastrí sind mir aus dem Reiseführer bekannt und ich entscheide mich für Àgios Joánnis, was ein langer, naturbelassener Strand mit Wacholderbäumen und Kiefern in einer Dünenlandschaft mit feinstem Sand sein soll. Nach einer Weile geht ein Fussweg rechts ab nach Sarakíniko, ein langer Strandabschnitt, an dem sich früher die Hippies und Wildzelter niedergelassen haben sollen, die dann später nach Ágios Joánnis weitergezogen sind, da die Bebauung mit Pensionen und Tavernen zunahm, und es ihnen auch hier wieder zu touristisch wurde. Der schöne Tamarisken- und Kiefernbestand am Strand hatte damals zudem schon ziemlich abgenommen.

    Ich gehe die Hauptstraße weiter, und außer dem Bus vom Hafen und einem Mopedfahrer ist noch keiner an mir vorbeigefahren, und ich stelle mich drauf ein, die paar Kilometer nach Ágios Joánnis per pedes zurückzulegen. Nach einigen hundert Metern kommt aber ein weißer Kleinwagen, hält kurz neben mir an und die Beifahrerin fragt, ob sie mich mitnehmen sollten. Die Einladung schlage ich natürlich nicht ab und ich steige ein. Das junge griechische Paar kennt sich bestens aus, scheint zu den wenigen residenten Bewohnern zu gehören und läßt mich oberhalb von Ágios Joánnis raus. Sie würden später auch zum Strand kommen und bestätigen mich in meinem Vorhaben, hierhin zu wollen, da es einfach nur total schön sei.

    Über den staubigen, bald in feinen Sand übergehenden Parkplatz, vorbei an 2 coolen Tavernen, wo man sofort an Bob Marley denkt, komme ich schon bald in die sanft geschwungene Dünenlandschaft mit dem alten Wacholderbewuchs. In der Weite hinter den Sandhügeln lacht mich schon wieder das knallblaue Meer an. Im Abstand von einigen zig Metern sind kleine Holzpflöcke in den Sand gerammt, um den empfohlenen Fussweg durch die Naturlandschaft zu markieren und sie somit vor wild durch die Lanschaft umherirrende Besucher zu schützen. Die Wildzelter haben sich allerdings überall verstreut in den Mulden zwischen den Wacholderbäumen ihre idyllischen Wohnbereiche in Topplage abgesteckt.

    Ich kann es ihnen nicht verübeln und denke wieder an meinen ersten und bis dato einzigen Rucksackurlaub in Griechenland vor über 35 Jahren mit meiner damaligen Freundin. Wir hatten 4 Wochen eingeplant und waren zunächst von Düren aus bis München getrampt. Von dort aus dann mit dem „Hellas-Express“ (auch Akropolis-Express genannt) bis Thessaloniki. Die Zugfahrt hatte über 40 Stunden quasi ohne Schlaf gedauert, war sehr anstrengend, aber extrem erfahrungsreich. Die fast 2 Tage und Nächte über die Balkanroute durch das Ex-Jugoslawien hatten eine derartige Erlebnisdichte, dass ich allein hierüber 20 Seiten schreiben könnte. Ich denke, dass ich danach nie wieder über solch einen kurzen Zeitraum hinweg so vielen Menschen unterschiedlicher Couleur und Nationalität begegnet bin.
    Jedenfalls haben wir damals auch an einigen wunderschönen Stränden und in angrenzenden Wäldern wild gezeltet, was damals verbreitet noch erlaubt bzw. geduldet war. Erst auf Chalkídiki, dann später noch auf der Sporadeninsel Skópelos. Man traf viele Gleichgesinnte und das freie Leben war schon fast zu schön. Neben einem späteren Trip mit 2 Freunden in einem umgebauten Hanomag-Bus nach Marokko war es wohl die schönste Reise, die ich bis heute gemacht habe.


    Den leichten Dünenabhang herunter, komme ich auf den langen, breiten Strand von Ágios Joánnis. In der Ferne kann man die kleine, unbewohnte Insel Gavdopoúla, erkennen, die kleine Schwester der Insel Gávdos. Es sind zwar einige Leute hier am Strand, aber aufgrund seiner Größe verteilt es sich so, dass es Platz ohne Ende gibt. Ebbe und Flut scheinen auch hier stärker zu sein, als man es von der Küste Kretas gewohnt ist, da sich der Strand flach und weit ins Wasser zieht. Aber der Gezeitenunterschied ist längst nicht so stark wie z.B. am Atlantik, es sind nur ein paar Meter.

    Es ist Ebbe und ich gehe über den festen Sand am Wasser entlang. Landeinwärts am Fuß der Dünenlandschaft sehe ich vereinzelt selbstgebaute Hütten aus flachen Flusssteinen und allerlei Gehölz stehen, die mich spontan an Robinson Crusoe erinnern. Die Geschichte hat mich als Kind schon immer fasziniert. Die Naturbehausungen sind zum Teil liebevoll errichtet und mit dem Nötigsten ausgestattet, und ich denke, was braucht man mehr, als solch ein Apartment in Topp-Lage, und das auch noch kostenlos. Ich mache einige Fotos von der prämierungswürdigen Architektur dieser Kleinst-Immobilien und ziehe meines Weges.
    Am Ende des Strands geht es über einen Steilhang zur nächsten Bucht namens Lavrakas. Der sandige, schmale Pfad hoch oben an der Küste entlang ist schon gut ausgetrampelt und führt nach einer Weile zwischen Wacholderbewuchs zum nächsten, karibikartigen Strand. Einige Meter vor mir ist der Weg plötzlich durch ein langes, spiralförmiges Etwas versperrt, einige Meter lang und mit einem Durchmesser von bestimmt 40 Zentimetern. Ich kann mir zunächst nicht erklären, was es ist, sehe aber dann, dass es die mächtige Wurzel eines Wacholderbaumes ist, die es vorgezogen hat, überirdisch durch die Luft zu wachsen. Eine regelrechte Monsterwurzel, wie ich sie noch nie gesehen habe. Das Alter würde mich mal interessieren (siehe Fotos).

    Am breiten, ebenfalls mit Bäumen bewachsenen Strand von Lavrakas komme ich zu einer kleinen, alten Kapelle mit einem natürlichen Süßwasserbrunnen, von dem ich im Reiseführer gelesen hatte. Hier mache ich Pause und fülle meine Wasservorräte auf. Zwischen dem Baumbestand kann ich Urlauber mittleren Alters erkennen, die die gewünschte Ruhe und Einsamkeit in diesem Paradies gesucht und gefunden haben. Irgendwie haben sie es auch hinbekommen, eine Dusche in Eigenbau zu installieren, die von dem Brunnenwasser gespeist wird. Perfekt! Wenn man genügend Lebensmittel dabei hat und vielleicht noch einen Gaskocher, kann man hier schon einige Tage verbringen. Strom muss nicht unbedingt sein, aber genügend Wasser ist unabdingbar und frisches Quellwasser ist in diesen Breitengraden dann schon Luxus. Ich würde dieser Unterkunft 5 Sterne geben..
    Es ist allerdings auch nicht so, dass man hier fernab jeglicher Nahversorgung ist, denn einen Laden mit allem was man braucht, gibt es in der Hauptsaison am Parkplatz von Ágios Joánnis auch. Und Saturday Night Fever zur Abwechslung in der Reggae-Taverne nach einem Einkaufsspaziergang, ca. ¾ Stunde OneWay, ist auch möglich.

    Ich setze meinen Weg noch fort bis zu der lang und flach ins Meer abfallenden, steinigen Landzunge am Ende des Strandes. Hier hat sich ein „Robinson“ ein alleinstehendes Objekt mit überdachter Außenterrasse in absoluter Traumlage erstellt (siehe Foto). Ich gehe das Felsplateau hoch, um es mir etwas näher anzuschauen. Auf einem Stein sehe ich auch den wohl nicht ganz erst gemeinten Hinweis auf ein Café. Als ich mich von hinten dem Idyll nähere, sehe ich, dass jemand an der Hütte ganz hektisch und nervös anfängt rumzukramen. Er hat mich wohl kommen sehen, aber ich weiß nicht, ob seine Unruhe nun bedeutet, dass er den Fremden empfangen möchte oder eher nicht. Ich beschließe, seine Kreise nicht zu stören und gehe wieder zurück an den Strand, um mein obligatorisches Wellness-Bad zu nehmen.

    In dem flachen, kristallklaren Wasser müßte ich schon einige zig Meter hinausgehen, um schwimmen zu können, was aber nicht sein muss. Ich entspanne mich bestimmt eine halbe Stunde lang im flachen Wasser und lasse die ganze Schönheit der Natur auf mich wirken. Außer mir ist nur noch ein Paar mittleren Alters ein paar Meter weiter hier, und aalt sich sichtlich verliebt im Wasser. Wortlos übertreffen wir uns gegenseitig in unserer hellauf entspannten Mimik, die ausdrückt, dass wir offensichtlich im Paradies gelandet sind.
    Unter der beschriebenen Dusche einige Meter oberhalb erfrischt sich mittlerweile eine nackte Frau und komplettiert das Bild.
    Bevor ich mich wieder anziehe, muss ich noch ein paar Fotos machen und das zweite Selfie meines Lebens ist fällig. Das erste war bei der Ankunft in Chóra Sfakíon am Libyschen Meer und nun das zweite auf der südlichsten Insel Europas.

    Der Korrektheit halber sei zu erwähnen, dass der eigentlich südlichste Punkt Europas an der Süd-Ost-Spitze der Insel liegt, dem Kap Tripiti (Ákra Tripití).

    Tiefenentspannt, aber gleichzeitig nachdenklich trete ich den Rückweg an. Ob ich es nochmal schaffe, evtl. mit jemand Gleichgesinntem, längere Zeit hier zu verbringen und auf nostalgisch-romantischen Pfaden die verborgenen Schönheiten der Insel zu entdecken?

    Wieder an der Reggae-Taverne angekommen, freue ich mich auf ein kaltes Bier, was ich bei dem langhaarigen Barmann mit sonnengegerbtem Gesicht bestelle. Er ist noch jung, aber sieht ziemlich fertig aus, was wohl an den langen durchgearbeiteten und durchzechten Nächten liegt.
    Ich sitze bestimmt noch eine gute Stunde hier auf der überdachten Terrasse mit Blick auf die Dünenlandschaft und das Meer bei guter Reggae-Musik und beobachte die typische Szenerie, die ich mir genauso vorgestellt hatte. Eine bunte Mischung aus Archäo- und Neo-Hippies, Aus-und (Wieder-) Einsteigern und Normalos. An einem Tisch sitzt eine Gruppe junger Deutscher, braun gebrannt, Rucksäcke und Musikinstrumente schon gepackt, und ertränken ihren Frust, wieder abreisen zu müssen. Einige Joints kreisen, denn das restliche Gras kann nicht mit in den Flieger und muss weg.

    Nach zwei Flaschen Bier und einigen Zigaretten, leider nur Tabak, mache ich mich auf zu der etwas oberhalb am Parkplatz gelegenen Taverne, die etwas neuer und schicker aussieht, um nach einer Rückkehrmöglichkeit zum Hafen zu fragen. Hier sitzt niemand, nur ein junges griechisches Paar macht die Theke. Freundlich und gut gelaunt weisen sie mich auf den Busfahrer hin, der ein paar Meter weiter an einen Holzpfahl gelehnt mit einem Bekannten palavert und ich sehe auch seinen Bus hinten auf dem Parkplatz stehen. Um 4 geht’s los und ich habe noch Zeit für einen Ellinikó an der Theke, der mir gepflegt (und sogar mit Quittung!) serviert wird. Ich unterhalte mich noch was mit der netten Kellenerin und da ruft der Busfahrer mich auch schon zum Bus.
    Mir kommt es fast so vor, dass hier so eine Art Buschtrommel-Kommunikation herrscht, und jeder auf der Insel weiß, wer wann angekommen ist, wo er gerade aushängt, wie lange er bleibt und wann er wieder irgendwo sein muss. Ich hatte keine genaue Info, dass von hier aus jetzt ein Bus zurück zum Hafen fährt. Ich wäre zufuß gegangen und hatte geschätzt, dass ich es in 1 Stunde schaffe, mit Daumen raus ggfl. schneller.
    Anfangs bin ich der einzige Fahrgast, erst am Sarakíniko-Strand, den ich jetzt auch das erste Mal sehe und der tatsächlich etwas belebter und bebauter ist, nehmen wir noch Leute auf.
    Ich bin pünktlich zurück am Hafen und die „Talos“ von Gávdos Cruises scheint schon auf mich zu warten. Die Passagiere sind schon alle da und ich bin der letzte. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht so selten vorkommt, dass sich jemand spontan entschließt, noch ein paar Tage länger auf der Insel zu bleiben und erst später sein Rückfahrticket löst.
    Nach wenigen Minuten legen wir ab und nehmen wieder Kurs auf Kreta. Die Rückfahrt kommt mir kürzer vor, was bei Rückfahrten meistens so ist, und wir sind gegen 6 wieder in Chóra Sfakíon.

    Ich bin total froh, dass ich den Trip nach Gávdos noch gemacht habe, denn morgen geht’s schon wie geplant nach Léntas, in meinen vertrauten Urlaubsort. Ich packe meinen Rucksack auf dem Zimmer schonmal reisefertig und gehe zum Essen und zur Verabschiedung noch in meine Haustaverne. Es ist heute nicht viel los hier und mein Patron Jánnis macht einen ungewohnt gelösten und entspannten Eindruck. Nach dem Essen kommt er immer wieder mit einer Karaffe Rakí an meinen Tisch und stößt mit mir an. Ich kann kaum mithalten.

    Ich hatte die ganze Woche über den Eindruck, dass eine angespannte Atmosphäre herrschte, vielleicht aus Personalmangel. Viele Gäste waren unzufrieden, weil es ungewöhnlich lange dauerte, bis das Essen kam, und wenn sie dann fertig waren und zahlen wollten, dauerte es extrem lange bis die Rechnung kam. Und Jánnis machte immer einen gestressten Eindruck.
    Heute ist er auffallend gesprächig, bedankt sich bei mir und wünscht mir noch eine gute Reise.

    Eine ungewöhnlich auffällige Sache bleibt mir von Chóra Sfakíon in Erinnerung: Obwohl die ganze Sfákia für traditionell kretische Musik bekannt ist, habe ich während meines gesamten Aufenthaltes keinen einzigen Ton Musik gehört, weder live noch aus Lautsprechern in irgendeiner Taverne, noch aus irgendeiner anderen Quelle. Es herrschte abends überall Totenstille, keine Musik, geschweige denn Feiern oder Tanz. Ich bin leider nicht dahintergekommen, was der Grund dafür war. Vielleicht gab es einen Dorfentscheid: „Entweder dürfen alle Musik spielen oder keiner“, und man hatte sich auf „keiner“ geeinigt.
    Für mich jedenfalls ein absolutes Novum auf Kreta und ein etwas seltsamer Nachgeschmack.

    Es folgt die letzte Etappe nach Léntas und das Ende meiner Erzählung
    Geändert von belgofritz (9.February.2018 um 11:54 Uhr)

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