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Thema: Thomas Münster: Reise nach Europa - ein Bericht aus Kreta

  1. #1
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    Standard Thomas Münster: Reise nach Europa - ein Bericht aus Kreta

    Schriftliche Berichte ehemaliger Wehrmachtssoldaten über ihre Erlebnisse während der deutschen Besatzung Griechenlands findet man nicht oft – abgesehen natürlich von den Büchern Erhart Kästners, den „ein gütiges Geschick während der Kriegsjahre nach Hellas verschlagen“ hatte. Sein Buch „Griechenland : ein Buch aus dem Kriege“, das 1943 „im Auftrage des Kommandierenden Generals im Luftgau Südost, General der Flieger Mayer“ im Verlag Gebr. Mann erschienen war, hatte er ja 1953 in bereinigter Form unter dem Titel „Ölberge, Weinberge“ im Insel-Verlag wieder veröffentlicht.
    Dieser Tage ist mir nun das Buch „Reise nach Europa : ein Bericht aus Kreta“ von Thomas Münster in die Hände gekommen. Das Buch ist im Verlag Ludwig Auer ohne Erscheinungsjahr erschienen, die Deutsche Nationalbibliothek gibt als Erscheinungsjahr „[um 1967]“ an.
    Thomas Münster, geboren 1912 in Mönchengladbach, studierte Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität Königsberg. Er war Diplomingenieur und lebte später als freiberuflicher Schriftsteller in München, wo er 1983 gestorben ist.
    Es muss wohl 1931 gewesen sein, als er „dieses Land [Griechenland] nun wochenlang durchstreift“ hatte. Die Krönung seiner Balkanreise sollte eine Überfahrt nach Kreta sein, wo er die kretische Gastfreundschaft kennenlernt und kretische Freunde findet. Erst im letzten Kapitel mit dem Titel „Der krumme Weg“ (S. 255 ff.) offenbart Thomas Münster, dass er sich „einige Jahre später“ mit vielen anderen auf der Reise nach Athen befand:
    „So sind wir den ganzen Balkan hinuntergerollt, und das war für uns junge Kerle ein abenteuerliches Vergnügen, über dem wir beinahe vergaßen, weswegen wir eigentlich unterwegs waren. Irgendwo im Süden sollten wir nämlich 'eingesetzt' werden, wo das genau sein sollte, blieb vorerst unklar, ich will aber vorwegnehmen, daß ich schließlich in der afrikanischen Wüste gelandet bin. […] Wir standen morgens in Athen auf dem Ommoniaplatz herum – wahrscheinlich waren wir gerade angekommen und hatten zu warten, bis man uns ein Quartier zuteilte. Auf dem Ommoniaplatz standen damals zwei große Steinvasen, die wohl als Blumenkübel gedacht waren. Heute sind sie nicht mehr da.
    Wie wir da herumstehen, in der Frische des Morgens uns die Hände reiben und die Füße vertreten, sehe ich, daß in einem dieser Kübel Menschen hocken, die zu schlafen scheinen. Ich mache ein paar meiner Kameraden darauf aufmerksam, und im Nu ist die große Steinvase von neugierigen Landsern umringt. Die Figuren im Kübel schlafen alle noch und merken nichts davon – der Wärme wegen sind sie in der Nacht ganz eng zusammengekrochen.
    Sobald wir uns allzusehr für das seltsame Blumenbukett interessieren, werden zwei Athener Polizisten aufmerksam, die bisher untätig in der Nähe herumgestanden haben. Sie treten an den 'Blumenstrauß', wecken die Schlafenden mit rohen Griffen, und wir sehen mit Erstaunen, daß dort ganze sechs Personen in der Vase gehockt hatten, um einander ein bißchen Wärme zu schenken. Fünf von ihnen kommen unter tatkräftiger Nachhilfe der Beamten hoch und klettern heraus. Sie sind abgemagert wie Skelette, gänzlich verschmutzt, und einem von ihnen sind die Hosenbeine bis zu den Lenden hinauf so verschlissen, daß bloß noch einige Fasern an seinen nackten Beinen herunterbaumeln. So schnell sie können verschwinden sie aus dem Sichtkreis der Polizisten.
    Der sechste aber, ein Mann von kaum mehr als fünfunddreißig Jahren, ist wieder in die Steinvase gesunken, wo er gänzlich unserem Blick entzogen ist. Aber nun wollen die Polizisten auch gründliche Arbeit machen. Sie bringen ihn wieder hoch, sie helfen ihm über den Rand der Vase, und dann erst gehen sie an ihren Standplatz zurück. Der Mann steht eine Weile da, als sei er nicht mehr von dieser Welt, dann taumelt er auf den Eingang der Stadtbahn zu. Sechs Schritte – sieben Schritte vielleicht, dann bricht er zusammen. Wieder kommen die Polizisten heran, wissen aber nicht recht, was da zu unternehmen ist, und stoßen den Mann nur ein paarmal mit dem Fuß an, ob er am Ende nicht doch noch aufstehen kann.
    Aus dem Zuschauerkreis, der immer dichter geworden ist, geht eine Frau auf den Liegenden zu und drückt ihm ein Stück Maisbrot in die Hand. Es war nur ein Stückchen, das man fast mit einer Hand umschließen konnte, aber es war gutes Brot. Ich werde es niemals in meinem Leben vergessen, wie die Hand des liegenden Mannes damit zum Mund fuhr, und wie sie dann schlapp heruntersank, um sich nie wieder aus eigener Kraft zu rühren. Ich ging zu einem der Polizisten und fragte: 'Warum hilft man dem Mann nicht – was ist eigentlich mit ihm?' - Der Polizist sah über mich weg, als er ganz ohne Klang, aber eiskalt antwortete: 'Verhungert!'
    In den folgenden Tagen erfuhren wir dann genauer, was in Athen vorging. Morgens lagen Menschen verhungert in Türnischen, wohin sie sich abends verkrochen hatten. Es hieß, weil bei den Thermopylen die Eisenbahn gesprengt sei, könne man den Athenern leider keine Nahrungsmittel heranschaffen.“

    Im Hungerwinter 1941/42 sind nach vorsichtigen Schätzungen mehr als 100.000 Menschen verhungert. Die Hungersnot war die Folge einer auf maximale wirtschaftliche Ausbeutung ausgelegten Besatzungspolitik des Deutschen Reichs während der Besatzung Griechenlands.

    Einige Tage später gibt der Oberfeldwebel das Kommando „Alles antreten zur Besichtigung der Akropolis!“ Die Wehrmachtssoldaten singen auf ihrem Weg zur Akropolis das Lied „Morsche Knochen!“. Thomas Münster berichtet: „Gerade als wir vor die Propyläen marschierten brüllten wir aus voller Brust: Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Scherben fällt! Denn heute gehört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt.“

  2. #2
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    Standard

    Die Bücher von Thomas Münster sind sehr lesenswert.

    Seit Anfang der 1930er war er auf Kreta und in dem Rest von GR unterwegs, zu einer Zeit, als nur ganz wenige Neugierige die Strapazen auf sich nahmen. Es gab außerhalb der Städte kaum Hotels, nur private Unterkünfte. Es gab keine Charterflüge, keine Leihautos, wenig öffentliche Verbindungen. So lernte er (u.a.) Kreta von seiner intimen Seite kennen, nicht nach Reiseführer-Art.
    Erst 30 Jahre später entdeckten die Hippies Kreta auf eine ähnliche Weise.

    Münster schildert Griechenland - und besonders Kreta - sehr kompetent und unterhaltsam, nie langweilend.
    Und er macht kurzweilige, anregende, originelle und zum Nachdenken bringende Ausflüge in Historie, Legenden und Mythen.


    Weitere Bücher von ihm (unter anderen):

    Kreta für Kenner, Langen Müller, München 1981
    Peloponnes für Kenner, Langen Müller 1980
    Einladung nach Kreta, Langen Müller 1975
    Kreta hat andere Sterne, Langen Müller ca. 1960 und Goldmann, München ca. 1962
    Reise nach Europa, Auer Donauwörth. Nach "Kürschners Deutscher Literatur-Kalender. 54. Jg." ist es 1961 erschienen

    Die Bücher sind im normalen Handel nicht mehr erhältlich. Man kann sie aber antiquarisch finden, teilweise für wenig Geld (ab 2 € + Versand), z. B.
    im ZVAB (Zentr.Verz.Antiqu.Buecher) http://www.zvab.com/
    oder bei amazon.de
    oder bei booklooker.de
    Und manche Stadtbüchereien mögen sie noch im Verleih haben, ansonsten über Fernleihe, die von Landesbibliotheken und auch von einigen Stadtbibliotheken angeboten werden.
    Geändert von Wolfgang (7.June.2020 um 23:54 Uhr) Grund: Ergänzung
    .
    Gruß,
    Wolfgang


    Fotos von Kreta

  3. #3
    Avatar von Inke
    Inke ist gerade online πάρτε με πάρτε με στην Κρήτη
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    Ich habe das Buch „ Kreta hat andere Sterne“ von einer 94 jährigen Dame, die viel gereist ist , geschenkt bekommen. Es hat mir sehr gut gefallen. Vor allem auch der Schreibstil.
    Inke


    Lasst uns immer in den großen Traum des Lebens
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