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Hausmusik beim Bürgermeister
Bei Jannis saß oft ein Mann mittleren Alters, der irgendwie nicht dorthin zu passen schien. Er war nicht besonders auffällig, aber doch sehr gepflegt gekleidet, verhielt sich meist recht zurückhaltend, auch wenn ihn alle zu kennen schienen … langer Rede kurzer Sinn, er wirkte irgendwie vollkommen anders als die manchmal etwas ungehobelt wirkenden Timbakioten.
Eines Abends kamen wir fast durch Zufall miteinander ins Gespräch, in dessen Verlauf wir erfuhren, dass er der Bürgermeister des kleinen Dörfchen Ágios Ioánnis im unteren Amárital war. Der Abend endete mit einer Einladung bei ihm zu Hause für den übernächsten Tag … seine Frau würde kochen.
Er hatte uns genau die Lage seines Hauses in Ágios Ioánnis beschrieben, sodass wir es ohne Probleme fanden – das war allerdings kein großes Kunststück, den das kleine Dorf in einem Seitental zwischen Psilorítis und Kédrosmassiv verfügte eigentlich nur über eine einzige Durchgangsstraße, an der das Haus direkt lag.
Wir wurden von ihm, seiner Frau und seinen vier kleinen Söhnen herzlich begrüßt. Ich weiß zwar nicht mehr, was es nach einem kurzen Rundgang durch das Dorf zu essen gab, aber es war so gut und reichlich, wie man es nur bei einer griechischen Hausfrau bekommt.
Die vier kleinen Jungs fanden uns sehr interessant, denn so oft verirrten sich Fremde wohl nicht in das kleine abgeschiedene Dorf. Wie abgeschieden das Dorf wirklich war und vermutlich noch ist, erfuhren wir im Laufe des Essens: Es gab in diesem Tal nicht einmal Fernsehempfang! Das tat aber der sehr gemütlichen Stimmung überhaupt keinen Abbruch, wir waren ja nicht zum Fernsehen hergekommen.
Nach dem Essen holte unser Gastgeber sein Laoúto und wir sangen gemeinsam kretische und griechische Lieder. Freundlich forderte er mich auf, es selbst einmal auf dem Laoúto zu probieren, was mir auch sicherlich nicht virtuos, aber zum allgemeinen Vergnügen einigermaßen gelang (ich hatte davor und habe danach nie wieder Laoúto gespielt – die Stimmung der Saiten ist ja anders als bei der Gitarre, aber ein paar Melodien bekam ich schon hin.
Es wurde natürlich nicht so spät wie an manchem anderen Abend auf Kreta, da die Jungs irgendwann ins Bett mussten und wir auch die Gastfreundschaft nicht zu sehr beanspruchen wollten. Aber auch unsere Gastgeber bedankten sich sehr für unser Kommen, denn so gab es auch in ihrem dörflichen Leben mal eine kleine Abwechslung.
Das Hotel "Brothers"
Hinter Jannis' Lokal in Kókkinos Pýrgos stand über viele Jahre hinweg ein großes zweistöckiges Betonskelett, an dem offensichtlich nicht weiter gebaut wurde. Das hatte die üblichen Ursachen: Man hatte zwar die Betonpfeiler und Decken fertig gestellt, aber dann fehlte entweder das Geld oder die Zeit, weiter zu machen … wie gesagt, kein Einzelfall auf Kreta. Wir benutzten diesen Rohbau gerne als Schlafplatz, denn so hatte man morgens Schatten und konnte ausschlafen.
Doch dann kam das Jahr der großen Überraschung: Wir fuhren nach Kókkinos Pýrgos hinein und entdeckten, dass der öde Rohbau sich über den Winter in ein schmuckes Haus verwandelt hatte, das Hotel "Brothers". Und nun erfuhren wir auch, wem Grundstück und Haus gehörten, denn die "Brothers" Jorgos und Antonis hatten wir vorher schon häufig bei Jannis getroffen (aber die Zusammenhänge nicht gekannt). Wir dachten uns, dass wir uns den Luxus mal erlauben sollten und unter dem altbekannten Dach ein Zimmer nehmen würden.
Im Hotel trafen wir nur Antonis an, der uns erzählte, wie er und sein Bruder die Sache mit dem Hotel geregelt hatten: Jeweils ein Jahr führte der eine Bruder mit seiner Frau das Jahr, während der andere die Gewächshäuser ringsum (!) bewirtschaftete – und im nächsten Jahr wurden die Rollen vertauscht.
In den Folgejahren wohnten wir immer in diesem Hotel, wenn wir in Kókkinos Pýrgos waren (auch als wir das erste Mal mit unserem kleinen Sohn dort waren, aber das ist eine andere Geschichte). Leider merkten wir aber auch im Laufe der Jahre, dass das Hotel tatsächlich ohne großes Augenmerk auf gute Bausubstanz hochgezogen worden war – Türen und Fenster klemmten schon im zweiten Jahr.
Irgendwann zerstritten sich die Brüder und das Hotel wurde nicht mehr bewirtschaftet. Und im Jahr drauf wurde es dann als Freudenhaus benutzt … es war das erste, aber im Laufe der Zeit längst nicht das letzte Bordell in Kókkinos Pýrgos. Jannis' Tochter, die an der Taverne ein Kiosk betrieb, machte einen Riesenumsatz mit Kondomen … irgendwann sagte sie mir mal augenzwinkernd, als ich auf eine kurze Stippvisite vorbeikam, ich sollte doch einfach bei ihr sitzen bleiben, die "Damen" kämen öfter was kaufen: "Wenn sie dich sehen, darfst du bestimmt umsonst." Ich habe es nicht ausprobiert …
"Polý polý" am Megalopotamós
In der "guten alten Zeit" war es noch sehr einsam und ruhig an der Mündung des Megalopotamós, dem Palmenstrand von Préveli. Dort kampierten immer mal einige wenige "Aussteiger" auf Zeit und sonst war da gar nichts. "Bewirtschaftet" wurde der Strand damals allerdings auch schon. Morgens kam der alte Barba Jorgos mit seinem Esel den Berg herunter und brachte Limonade, Cola, Bier und Wein mit. Die Flaschen kühlte er im Fluss und verkaufte sie an einer Hütte, die er aus Steinbrocken aufgeschichtet und mit einem Dach aus Palmwedeln versehen hatte.
Da das Nacktbaden in der Bucht damals üblich war – es gab niemanden, den es störte und der es kontrollierte – schlug mit der Zeit die Sonne und der Anblick weiblicher Nacktheit Barba Jorgos wohl ein wenig aufs Gehirn, wie an anderer Stelle schon erzählt. Aber um Barba Jorgos soll es hier gar nicht gehen.
Wir blieben ein paar Tage in der Bucht, genug zu essen und zu trinken hatten wir mitgenommen. Mit uns waren auch zwei junge, große und athletisch gebaute Männer aus Deutschland am Strand, die wie alle anderen nackt badeten. Ich will es mal so ausdrücken, sie beiden waren in jeder Hinsicht groß und gut gebaut (nicht, dass mich das besonders interessiert hätte).
Zwei einheimische Frauen, die sich irgendwann an den Strand verirrt hatten, interessierte es aber umso mehr. Sie liefen mehrfach den Strand auf und ab, immer wieder dicht an den beiden vorbei, die entspannt auf ihren Handtüchern dösten und die beiden Frauen wohl überhaupt nicht bemerkten. Als diese ihre Inspektion beendet hatten, kamen sie auch in unsere Nähe vorbei. Da sie uns keines Blickes würdigten, konnten sie uns wohl nicht meinen. Jedenfalls hörte ich klar und deutlich, wie die eine Frau zur anderen sagte: "Τους είδες αυτούς τους δυο; Θεεεε μου, πολύ πολύ!" (Tous ídes avtoús tous dyo? Theeee mou, polý polý! – Hast du die beiden gesehen? Mein Gott, viel viel!).
Beim Abendessen am Lagerfeuer haben wir es den beiden erzählt … ich glaube, es war ihnen ein ganz kleines bisschen peinlich, denn am nächsten Morgen behielten sie die Badehosen an.
Viel Spaß