1979 - Daumen im Wind
Wir schrieben den 28. Juli 1979, der Sommer in Deutschland machte seinem Namen in diesem Jahr erneut alle Ehre und fand an knapp drei Tagen statt. Es tratschte gegen die Scheiben unserer Wohnung, ein kühler Wind pfiff um die Hausecken und aus dem Radio meiner Eltern dudelte der unvermeidliche Rudi Carrell, der nun schon im dritten Jahr in Folge die allgemeine Stimmungslage nördlich der Alpen auf den Punkt brachte: "Wann wird's mal wieder richtig Sommer.....?" Ich hatte ein taufrisches Abitur in der Tasche, jede Menge Flausen im Kopf, erschütternd wenig Bares auf dem Konto, eine tief sitzende Abneigung gegen Rudi Carrell und noch keine richtige Idee, was ich denn nun mit meinem Nach-Schul-Leben anfangen sollte.
Die richtige Mischung um mich eines Gesprächs zu erinnern, das ich Tage zuvor im Zug von Würzburg nach Hause mit einem Pärchen geführt hatte. Die beiden Braungebrannten aus Köln erzählten unentwegt von einer Insel, auf der sie knapp 2 Monate verbracht hatten und die sie offenbar nachhaltig beeindruckte. Jeder Satz begann mit den Worten "Kreta, das ist...." oder "Kreta, da kannst Du..." und "Kreta, da wirst Du....". Es hagelte Superlative und ich blickte versonnen aus dem Zugfenster und versuchte mir aus den Geschichten und Momentaufnahmen ein Bild zu machen. Ständig fielen Worte wie "Preveli", "Vai", "Matala", "Pale"...nie gehört und alles klang geheimnisvoll, frei, warm.
Unter dem Eindruck des akuten Frühwinters mitten im Sommer hatte sich in diesen letzten Julitagen das Idealbild eines Paradieses jenseits der Alpen geformt, das mich nicht mehr losließ. Und folglich reifte der tagelang gärende Entschluss, dem tristen Dasein zu entfliehen und fand am diesem ominösen 28. Juli seine Erfüllung, indem ich am Nachmittag im Keller forsch eine Pappe bemalte, die den gewagten Schriftzug "Kreta" trug. Erleichternd kam der Umstand hinzu, dass sich meine damalige Lebensabschnittsbegleiterin (G.), die erst zarte 17 Lenze zählte, auf der Stelle bereit erklärte, mir ins ferne Hellas und dort auf eine geheimnisvolle Insel zu folgen, auf der das Leben leicht, die Sonne warm und der Wein billig sei.
Mit der Pappe bewaffnet, knappen 400 Mark in der Tasche, alten Rucksäcken auf dem Buckel und neuen Schuhen der Marke Adidas (sie sollten noch eine wichtige Rolle spielen) an den Füßen standen wir am nächsten Morgen, dem 29. Juli 1979 an der Autobahnauffahrt Aschaffenburg Ost. Damals war der einschlägige Stinkefinger hierzulande noch unbekannt, weswegen sich die zahlreich vorbeifahrenden Wagenlenker damit begnügten, uns diverse Vögel und andere Nettigkeiten zu zeigen. Eine gute Stunde lang machte keiner Anstalten, statt seines Gaspedals mal die Bremse zu bedienen. Woraufhin ich meine damals mächtig frauenbewegte Freundin händeringend davon überzeugte, dass es doch nun allmählich an der Zeit wäre, statt zwei Personen nur eine an die Strasse zu stellen. Bei dieser Person müsste es sich freilich um sie handeln, wenngleich wir uns bezüglich der Haarlänge zwar nichts schenkten, meine unrasierte Visage hingegen dem deutscher Spießer wohl reichlich suspekt erschien. Gesagt, getan, kaum räkelte sich G. bemüht lasziv auf ihrem Rucksack, überboten sich allerlei Kapitäne der Landstraße mit gewagten Bremsmanövern und winkten gierig nach dem jungen Ding mit dem großen Rucksack. Nie werde ich die entsetzten Gesichter vergessen, die ich an diesem Tag zum ersten Mal sah und die uns noch oft begegnen sollten, wenn G. mal wieder ein Auto zum wilden Bremsen brachte und ich daraufhin aus der Deckung sprang um deutlich zu machen, dass die Dame nicht allein zu reisen geruhte. Und nie werde ich Gernot vergessen, den LKW-Fahrer, der an diesem Tag direkt vor unserer Nase seinen Aufliegerzug zum Halten brachte, zunächst sauer dreinblickte, als er meine Gestalt aus dem Graben krabbeln sah und dann mürrisch meinte, "also dann, von mir aus auch zwei, aber kein Theater in meiner Karre und kein Getätschel während der Fahrt!"
Kaum saßen wir "auf dem Bock" eröffnete uns Gernot, dass er bis Salzburg fahre, dort zwei Tage bleibe und dann weiter brumme nach Saloniki und Athen, um für C&A Klamotten zu holen. Saloniki! Athen!! Wir trauten unseren Ohren nicht. Ob wir vielleicht gleich...."Nein", das könnten wir nicht, er warte in Salzburg auf einen zweiten Fahrer, da sei dann kein Platz für vier. Aber bis Österreich gehe das schon in Ordnung, er werde dann vor Ort mal sehen, was sich noch machen ließe. Gernot war ein "umfangreiches" Seelchen, gut zwei Zentner Mann, verteilt auf knappe einssechzig Länge und Breite. Stets verbiestert blickend aber mir reichlich Schalk im Nacken gesegnet. Schon bei Nürnberg duzten wir uns und hinter München kannten wir Gernots Familie aus dem ff.. Und dann kam Salzburg. Ich hatte im LKW meine Adidas gegen die damals obligaten Jesusschlappen getauscht, da die Sonne in den Voralpen so etwas wie Sommer versprach. Die Adidas waren am Rucksack verknotet und auf dem großen Parkplatz hinter der Grenze sprangen wir aus Gernots Führerhaus. "Hier warten, Klappe halten", sagte er zu mir in seiner herzerfrischenden Art, "ich will mal sehen, was ich für euch machen kann." Sprachs, verschwand und kam 10 Minuten später wild gestikulierend angeschnauft. Wir sollten mal die Beine in die Hand nehmen, da vorne stehe schon einer, der auf uns warte. Wie? Was? Na der an der Ausfahrt, der schon hupt! G. drückte Gernot noch an ihre ausnehmend umfangreiche Auslage, wir rannten los und saßen wenig später neben einem Libanesen, der für die gleiche Spedition unterwegs war, für die auch unser Gernot fuhr. Und der eröffnete uns grinsend, dass es nun nach Saloniki gehe, nonstop via Auto(ka)put! Wir waren noch keine 24 Stunden unterwegs und hatten das große Los gezogen. Aber die Überraschung sollte noch kommen...
(Wird bei Interesse fortgesetzt...)
K.M.
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Zitat von Kapitan Michalis
